9. Die Brikettfabrik Fortuna-Nord
Die nachfolgenden Informationen sind z.T. wörtlich aus einem Bericht der Revier und Werk Nr. 230, Dez. 1991 und einem Sonderdruck Rheinbraun 6/91 übernommen und durch eigene Informationen ergänzt worden.
Schon in den Anfängen „hochmodern“: 50 Jahre Fortuna-Nord
Bergheim. - „Neue Brikettfabrik in Niederaußem": Unter dieser Überschrift berichtet die Tageszeitung „Aufbruch" am 27. August 1938 über die Entscheidung der Rheinischen Aktiengesellschaft für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation (RAG), der Rechtsvorgängerin der Rheinbraun AG, einen neuen Veredlungsbetrieb zu bauen - nördlich des damals laufenden Tagebaus Fortuna alt und östlich der von 1940 bis 1954 zur Versorgung dieser Brikettfabrik betriebenen Grube Fortuna-Nord.
Politik und Wirtschaft sind sich in diesen Jahren einig, die Braunkohlenförderung und -Veredlung erheblich auszubauen. „Man denke nur an den großen Bedarf, den das im Entstehen begriffene Kraftstoffwerk in Wesseling bei Köln einmal haben wird", schreibt der „Aufbruch". „Die ständig zunehmende Stromerzeugung bedingt gleichfalls einen stärkeren Braunkohlen- und Brikettverbrauch." Den kann das Südrevier zwischen Brühl und Liblar auf lange Sicht nicht allein decken. Und Holz soll im Hausbrand, so der politische Wille, wegen besserer Verwendungsmöglichkeiten künftig nicht mehr zum Einsatz kommen.
Im Frühjahr 1939 beginnen die Bauarbeiten westlich der Straße Niederaußem-Auenheim auf einem abgeernteten Rübenacker. Ein halbes Jahr später ist Krieg. Die gesamte Wirtschaft wird der Rüstungsproduktion unterworfen. Improvisation und Umplanen sind auf der Baustelle bei Niederaußem fortan Gebot der Stunde.
Am 12. September 1941 wurde der erste Dampf erzeugt und am 17. September nimmt die Werksleitung den ersten Trockner und die ersten Brikettpressen in Betrieb. Die Fabrik besaß anfangs vier Kessel, 2 Turbinen, sieben Trockner und 16 Pressen. Das neue Werk, erstes von insgesamt vier geplanten Einheiten, ist hochmodern. Es weicht auch architektonisch von den puren Zweckbauten der zeitgenössischen Brikettfabriken ab. „Die einflussreiche Mitwirkung eines Architekten bei der Gestaltung der Gebäude war deutlich zu erkennen", schreibt ein Chronist später.
Im September 1944 ruht der gesamte Betrieb wegen Waggonmangels zehn Tage lang. Wiederholt richten Luftangriffe erhebliche Schäden an. Bombentreffer führen zu Stillständen, lösen vereinzelte Brände aus, behindern die Kohlenförderung. Am 10. Februar 1945 setzt ein weiterer Luftangriff das Kesselhaus und damit das ganze Werk schachmatt. „Viele Leute wegen Frontnähe ausgeblieben", meldet ein Bericht am 26. Februar 1945. Eine Woche später besetzen amerikanische Truppen die Brikettfabrik.
Bereits am 30. Juli 1945, drei Monate nach Kriegsende, steht Fortuna-Nord wieder voll unter Dampf - und unter der Regie der Militärregierung. Im Dezember 1945 geht auch dieser Betrieb in alliierte Verwaltung über.
Am 14. November 1946 verunsichert die belgische Regierung das Rheinland mit einem Memorandum für die Moskauer Konferenz der Siegermächte. Belgien fordert als Reparation unter anderem den Besitz der Kraftwerke Fortuna I und II, Fortuna-Nord und Frimmersdorf „sowie die dort befindlichen Braunkohlengruben, die Schürfkonzessionen, Brikettfabriken und dazugehörigen Anlagen".
Die Ausschaltung der Brikettfabriken Fortuna und Fortuna-Nord würde ... für die Brennstoffversorgung der deutschen Haushaltungen von einschneidender Bedeutung sein", kommentiert die Kölnische Rundschau" am 15. Juli 1947. Die Siegermächte geben den belgischen Besitzansprüchen an die Braunkohlenindustrie nicht nach. Sie behalten die Gruben und Fabriken aber in ihrer Hand.
Bürokratische Wirtschaftslenkung kennzeichnet die ersten Nachkriegsjahre. In den kalten Wintern 1945/46 und 1946/47 greifen die Menschen zur Selbsthilfe: Kohlezüge werden immer wieder um erhebliche Teile ihrer Fracht erleichtert. Der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings stellt diese Form der Selbstversorgung in einer berühmten Predigt dem Mundraub gleich. Fortan werden Briketts nicht mehr gestohlen sondern „gefringst".
Am 12. Juli 1948 nimmt die Fabrik Fortuna-Nord II ihren Betrieb auf. Die Bauarbeiten waren zwar bereits 1939 begonnen worden, kamen jedoch wegen des Krieges nur schleppend voran. Unmittelbar nach Kriegsende fehlten maschinelle Einrichtungen, die in Ostdeutschland bestellt und dann unerreichbar waren.
„Inmitten der fruchtbaren Bergheimer Landschaft bietet das Werk ein Bild großzügiger Planung", schreibt die „Rheinische Zeitung" am 3. August 1948. „Nach modernsten Systemen erbaut und angeordnet, gruppieren sich insgesamt vier Fabriken; Zerkleinerung, Naßdienst, Trockenhaus und Pressen um das leistungsintensivierte Dampfkraftwerk."
Erstmals ist eine sogenannte Vierlingspresse in Betrieb, eine Brikettpresse mit vier Stempeln. Bis dahin sind Zwillingspressen Stand der Technik gewesen.
860 Mann arbeiten zu dieser Zeit in der Niederaußemer Brikettfabrik. „Die Werkstreue der Belegschaft erscheint umso wertvoller, als die Bergarbeiter im Braunkohlenrevier keineswegs dieselben Vergünstigungen beziehen wie die Kumpels der Steinkohle an der Ruhr oder im ... Aachener Revier", teilt die „Rheinische Zeitung" mit.
Im Jahr 1950 wird das Grubenkraftwerk, das Dampf für die Kohletrocknung und Elektrizität produziert, mit einer dritten Turbine verstärkt. Im Jahr darauf folgt ein fünfter Kraftwerkskessel. 1956 nimmt eine Versuchsbrikettfabrik am Standort Fortuna-Nord, die heutige Fabrik III, ihren Betrieb auf. 1972 folgt die vierte Turbine, 1973 der sechste Kessel, 1976 die erste Verkokungsanlage mit Kessel sieben, 1976 die Mahlanlage 1 und 1981 die Mahlanlage zwei. 1984 erfolgt die Inbetriebnahme einer 2. Verkokungsanlage mit Kessel acht und die 1. Ausbaustufe der Fabrik IV. Die 2. Ausbaustufe der Fabrik IV kam 1989.
An Veredlungsprodukten werden in der Fabrik Fortuna-Nord erzeugt: Briketts, Staub, Koks und Wirbelschichtkohle. Der Rohstoff für diese Produkte wird in den Tagebauen gewonnen und über Förderbänder oder mit Eisenbahnwaggons zum Rohkohlenbunker der Fabrik transportiert. Diese Rohkohle hat etwa 60 % Feuchtigkeit und enthält bis zu 1/2 m große Kohlebrocken. Um die Kohle zu Brikett, Staub, Koks und Wirbelschichtkohle verarbeiten zu können, muß sie zuerst zerkleinert und getrocknet werden.
Die Verarbeitung der Braunkohle erfolgt wie folgt. Die Rohkohle wird zunächst in der Aufbereitungsanlage (Naßdienst) durch Siebung und Mahlung auf unter 8 mm zerkleinert. Ein Teil der groben Kohle wird als Kesselkohle dem eigenen Kraftwerk zur Dampferzeugung zugeführt. Die feinkörnige, aber noch nasse Rohfeinkohle wird in die Trockenhäuser transportiert, wo sie in Röhrentrocknern mit Dampf bis auf die gewünschte Feuchtigkeit des Endproduktes getrocknet wird. Das ausgetriebene Wasser, „Brüden“ genannt, reißt feinste Kohlenstaubpartikel mit. Diese Brüden werden daher durch Elektrofilter geleitet, in denen die Staubkörnchen ausgefiltert werden und gelangen dann als weiße Fahne oberhalb der Dächer der Trockenhäuser ins Freie. Aus der groben, feuchten Rohkohle ist nunmehr feinkörnige Trockenkohle geworden.
Im Pressenhaus werden aus der getrockneten Kohle in den Brikettpressen bei einem Druck von ca. 800 bar 6“-Salonbriketts gepreßt, die über Förderbänder zur Bahn- oder zur Landverladung transportiert werden. In den Mahlanlagen wird Trockenkohle in Schwingmühlen gemahlen und zusammen mit dem Staub aus den Elektrofiltern der Trockenhäuser in Silos geblasen, aus denen der Staub in Land- oder Bahnfahrzeuge verladen werden kann. Die Wirbelschichtkohle wird als Trockenbraunkohle aus den Trockenhäusern direkt mittels Luft über Rohrleitungen in Verladesilos geblasen. Außerdem wird Trockenkohle aus den Trockenhäusern in die Verkokungsanlagen transportiert. Hier wird die Kohle auf ca. 1.000 °C erhitzt, wobei sie ihre gasförmigen Bestandteile abgibt. Der Rückstand ist ein feinkörniger Koks, der mit Wasser abgekühlt und anschließend in Bahnwaggons oder LKW‘s verladen wird. Die gasförmigen Bestandteile werden in der Verkokungsanlage verbrannt und erzeugen damit die zur Verkokung benötigte Temperatur.
Das Grubenkraftwerk umfaßt die Kessel für die Erzeugung des für die Trocknung der Kohle notwendigen Dampfes und die Turbinen mit angeschlossenen Generatoren zur Stromerzeugung. Der Dampf aus den Kesseln wird mit einem Druck von 90 bar zunächst über die Turbinen geleitet und dann den Trockenhäusern zugeführt. Der dort kondensierte Dampf wird mittels Pumpen in das Kesselhaus zurückgefördert und hier wieder verdampft Die Rauchgase aus den Kesseln werden in Elektrofiltern gereinigt, bevor sie über Kamine abgeleitet werden.
In den 60er Jahren setzt ein allgemeiner Strukturwandel ein: Das Mineralöl beginnt seinen Siegeszug, das Brikett verliert seine starke Stellung im Brennstoffmarkt. Es gilt, der rheinischen Braunkohle zusätzliche Verwendungsmöglichkeiten zu erschließen.
Ziel der Braunkohlenveredlung ist die Erzeugung von direkt einsetzbaren Brennstoffen mit hohem Heizwert und von Koks als Filtermedium sowie für metallurgische Zwecke.
Das Trockenhaus 2 in Fortuna-Nord wird 1963 um zwei Röhrentrockner erweitert, um die Trocknungsleistung des Werks dem zeitweilig höheren Wassergehalt der Braunkohle aus dem mittlerweile aufgeschlossenen Tagebau Fortuna/Garsdorf anzupassen.
Im Frühjahr 1964 baute die Fabrik eine großzügige Verladeanlage für den Bahnversand.
1970 erzeugt die Fabrik Fortuna-Nord noch 353.278 t Brikett und 66.682 MWh Strom. Die Belegschaft betrug Ende 1970; 368 Arbeiter und 45 Angestellte.
Erst die Ölkrisen 1973/74 und 1979/80 verlangsamen den Absatzrückgang bei Briketts. Industrieverbraucher interessieren sich wieder für Brennstoffe aus Braunkohle. Die Nachfrage nach Braunkohlenstaub, einem bequem wie Öl handhabenden Brennstoff, steigt; sie konnte bis dato aus der Rückgewinnung von Staub aus den Abluft- und Rauchgasfiltern der Brikettfabrik gedeckt werden. Das reicht nicht mehr. 1976 und 81 müssen für die Herstellung von Braunkohlenstaub in Fortuna-Nord eigene Mahlanlagen errichtet werden. Die erste große Staubmahlanlage mit einer Tagesleistung von 1.000 t ging 1976 in Betrieb. Bis 1981 erfolgte der Bau von weiteren Anlagen für die Erzeugung von bis zu 3.500 t Braunkohlenstaub pro Tag. 1973 produzierte Rheinbraun rund 230.000 t Braunkohlenstaub. 1981 waren es dann bereits 2,3 Mill. t.
In diesen Jahren führt Rheinbraun auch das Produkt Braunkohlenkoks ein. 1976 und 1984 errichtet die Fabrik Fortuna-Nord zwei Verkokungsanlagen. Der Koks wird in der Eisen-, Stahl- und Kalkindustrie als Kohlenstoffträger eingesetzt. Darüber hinaus wird er als Umwelt-Koks zur Herstellung von Aktivkohle und als Filterkoks in Rauchgasentgiftungs- und (Ab-) Wasseraufbereitungsanlagen verwendet.
Für die Abführung der Rauchgase einer neuen Herdofenanlage wurde 1983 ein dritter 126 m hoher Schornstein gebaut. Die beiden vorher gebauten Kamine haben 144 m und 99 m Höhe. Alle drei Schornsteine wurden mit Blitzschutzanlagen und Luftfahrthindernis-Befeuerung ausgerüstet.
Das Brikett, früher einziges Produkt der Fabrik Fortuna-Nord, spielt dort heute eine eher nachgeordnete Rolle. Die Brikettproduktion wird auf die beiden anderen Rheinbraun-Fabriken Ville/Berrenrath und Frechen (Wachtberg und Carl) verlagert. Fortuna-Nord wird Rheinbraun-Schwerpunkt für die zukunftsträchtigen Produkte Wirbelschichtbraunkohle (Brennstoff für neue, umweltfreundliche Kraftwerkstypen) und Koks. Der Betrieb hat 1990 die Herstellung von Wirbelschichtbraunkohle, gegenüber 1989 vervierfacht. Für dieses neue Produkt sind 1988 in Fortuna-Nord die Trockenkohlenherstellung erhöht und eine zusätzliche Siloverladeanlage errichtet worden. Der Ausstoß von Braunkohlenkoks ist 1990 gegenüber dem Vorjahr um fast ein Drittel gestiegen.
Die Tageskapazität für die einzelnen Veredlungsprodukte betrug Ende der 1980ger Jahre in Fortuna-Nord 3.000 t Briketts, 3.500 t Staub, 2.500 t Wirbelschichtkohle, 700 t Koks und 2,2 Mio. kWh Strom. Die Fabrik beschäftigt in den Produktionsbetrieben, Werkstätten und der Verwaltung ca. 600 Mitarbeiter.
Mit Umstellung der Produktionspalette und den erfolgten Modernisierungsmaßnahmen ging in Fortuna-Nord auch die Anzahl der Mitarbeiter zurück. Ende 1981 betrug die Mitarbeiterzahl 600, bereits 1997 waren es leider nur noch 400.
Im Zusammenhang mit der Brikettfabrik Fortuna-Nord, ist sicherlich die Nutzung des großen Wasserbeckens, das zum Kühlsystem des Fabrikkraftwerkes gehört erwähnenswert. Bis in die 60ger Jahre, diente dieses große Betonbecken der Bevölkerung der umliegenden Ortschaften im Sommer als öffentliches Schwimmbad. Der Schwimmverein „Erftstolz Niederaußem“ benutzte das Becken als Trainings- und Wettkampfanlage. Durch die Einbindung des Beckens in den Kühlkreislauf des Fabrikkraftwerkes hatte das Wasser stets ein angenehme Temperatur über 25 °C.
Heute ist die Fabrik Fortuna Nord einer der modernsten und leistungsfähigsten Veredlungsbetriebe im Revier und bietet trotz des Mitarbeiterabbaus der letzten Jahre, nach wie vor auch etlichen Oberaußemern einen zukunftssicheren Arbeitsplatz.