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Geschichten aus dem alten Oberaußem

Eine Zusammenstellung von Ulrich Reimann

Ein heldenmütiges Mädchen aus Oberaußem

„Heimatkunde von Oberaußem“, Josef Dürbaum

 

>>Der Herzog Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg erhielt im Jahre 1694 die Besitzungen des Pfalzgrafen bei Rhein, Pfalz-Neuburg und einige Jahre später, 1706, auch die Kurrechte --- der Pfalzgraf bei Rhein wählte oder kürte den deutschen Kaiser mit -- des pfälzischen Hauses. Unter diesem Kurfürsten trug sich ein seltener Fall zu, der eng mit unserem Orte verknüpft ist und der an die Geschichte der Jungfrau von Orleans erinnert. Diese, von Schiller in einem Drama verherrlichte Jungfrau stellte sich an die Spitze eines Heeres und verjagte die die Stadt Orleans belagernden Engländer. Der Zauberei und Ketzerei angeklagt, endete die heldenhafte sittsame Jungfrau auf dem Scheiterhaufen. Auch Oberaußem besaß eine von solch hoher Vaterlandsliebe beseelte Jungfrau. Sie hieß Anna Maria Conradts. Im Jahre 1695 ließ sie sich als Infanterist bei der Armee des Kurfürsten Johann Wilhelm, Jean Wellem genannt, anwerben. Niemand hatte eine Ahnung davon, daß sie ein Weib war, denn ihren Dienst versah sie wie jedermann und im Kriege --- die Franzosen führte ihre Raubzüge um jene Zeit --- zeigte sie sich nicht minder tapfer als die Männer. Fünf Jahre leistete sie so treue Kriegsdienste, ohne daß ihr Geheimnis enthüllt würde. Dann aber kam wie sie selber sagte, die Sache ans Licht; jedoch wurde ihr nicht das harte Los der Jungfrau von Orleans zuteil, sondern der Kurfürst behandelte sie gnädig und entließ sie als Soldat mit ehrlichem Abschied. Nunmehr machte sie die Bekanntschaft eines kurfürstlichen Reiters mit Namen Buschmann, der ihr versprach sie zur Ehe zu nehmen. Alle Vorbereitungen zur Eingehung der Ehe waren bereits getroffen, als der Reiter anderes Sinnes wurde. Was ihn eigentlich bewog, der Ehe mit der Heldenjungfrau zu entsagen, wissen wir nicht genau, vielleicht dachte er daran, unter dem ehelichen Kommando einer Kriegsdame nicht mehr der so ganz freie Reiter wie bisher zu sein. Die Braut jedoch nahm die Treulosigkeit ihres Geliebten nicht so ohne weiteres hin, sondern wandte sich in einem Handschreiben an den Kurfürsten, in welchem sie unter Darlegung der Verhältnisse denselben bat, dem Reiter Buschmann die Eingehung der Ehe mit ihr einfach zu befehlen. Der Brief hatte folgenden Wortlaut:

 

Durchlauchigster Churfürst, gnadigster Herr!

Ew. Churfürstl. Dchlt. geruhen sich diemütigst vorbringen zu lassen, was gestalten ich amts Bercheims Dorffs Oberaußem von Ehrlichen Eltern geborenes weibsbild unter dero infänterie in Mans Kleidern funff Jahr lang reinen Kriegs Diensten erlassen undt under offizier volligen contentement (sprich kontangtmang = Zufriedenheit) versehen habe. Dahe nun aber die Sach ans liech kommen, ich von dero Diensten erlassen und vor wenigen tagen von einem reuter nahmens Henrich Buschmann unter dero Rittmeistern Waldenburg compagnie zum heirath gesucht, auch alles darüber beyderseiths geschehenes Versprechen mit Empfang der heiligen hosties seyn confirmiert worden; welchem nechst obgleich ich mich der Ehe ganzlich versichert, so werde ich danach damit bishiehin auffgehalten, ohne das mir wissig, ob dem capitain (Rittmeister) oder reuter die Schuld zu geben und dieser annoch wi vorhin gesinnt seyn.

Drumb dan Ew. Churfürstl. Dchlt. diemütigst bitte auf ersteren Fall dero capitain, daß ihne reuter in vorhabender Ehe nit behindern, anderen ihne reutern die Vollenziehung des getanen Versprechens scharpsest einbinden solle, ernsthafte, und gnadigst zu befehlen.

                                                            Diemütigste

12. August 1701                                                                           Anna Maria Conradts.“

 

Der Kurfürst Jean Wellem erkannte das Bittgesuch der Anna Maria Conradts als begründet an. Er ließ sogleich ein Schreiben an den Rittmeister von Waldenburg abgehen, in welchem er diesen ersuchte, dafür Sorge zu tragen, daß die Ehe zwischen den Genannten wirklich vollzogen werde.

 

Der Kurfürst schrieb:

                                                „Herrn Rittmeister von Waldenburg.

 

            Demnach bey Ihrer Churfürstl. Dchlt. Anna Maria Conradts remonstrande (mit Gegenvorstellungen) diemütigst einkommen, wie das sicherer von Rittmeistern von Waldenburg ahngeworbener reuter Buschmann genennt Sie supplicantinnen (bittend) zum heyrath gesucht habe, auch alles darüber beyderseiths geschehenes Versprechen mit Empfangung der h. Communion seie confirmiert worden ohnerachtet dessen aber sie zu keiner rechten Ehe mit ihme Buschmann gerathen könte.

Weil nun höchstgen. Ihro Churfürstl. Dchlt. ggst. wollen, das diesfalls Beschehene Versprechung völlig vollenzogen werden, alß hatt obger. rittmeister von Waldenburg Befindenden nach zu verfügen, damit ob. Versprechung zum würklichen effect gebracht werde.

 

Düsseldorf, den 12. August 1701“

 

Ob nun die Anna Maria Conradts die glückliche Ehegattin des Heinrich Buschmann geworden ist, wissen wir freilich nicht. Bei der Entschiedenheit jedoch, mit der der Kurfürst auf den Reiter einwirken ließ, dürfen wir annehmen, daß Buschmann sich wohl oder übel gefügt hat. <<

 

 

Förster Rauwald und die Glessener Besenbinder (Bessemskriemer)

„Heimatkunde von Oberaußem“, Josef Dürbaum

 

>>Der Forstschutz wird in unserem Oberaußemer Walde bereits seit mehreren Generationen von Förstern der Familie Rauwald ausgeübt. Der erste in ihrer Reihe war Heinrich Rauwald, eine originelle Persönlichkeit, dem seinerzeit die Glessener Besenbinder viel zu schaffen machten, indem diese trotz häufiger, harter Strafen nicht davon abzubringen waren, im Oberaußemer Walde die zu der Herstellung der Besen erforderlichen Birkenreiser zu stehlen. Förster Rauwald, der, wie es seine Pflicht erheischte, eifrig hinter den Besenbindern her war, scheute auch nicht, im Notfalle von seiner Waffe Gebrauch zu machen, was um so notwendiger war, als sich unter dem Gesindel recht frevelhafte Leute befanden, die den Forstschutzbeamten nicht selten zu Leibe rückten und ihnen gefährlich wurden. Eines Tages nun war wiederum ein solcher Holzfrevler damit beschäftigt, Reiser abzuschneiden, als er den Förster herannahen sah. Er hätte wohl nach Hause fliehen wollen; dann aber war ihm der ganze Tag wieder verdorben; denn der Weg bis Glessen war immerhin ein gutes Stück, und es ging ihm durch das Hin- und Herwandern viel Zeit verloren. Flugs heckte er darum einen anderen Plan aus. Er kletterte auf einen in der Nähe stehenden Baum, verbarg sich in der Krone desselben und wollte den Förster vorbeigehen lassen, um dann wieder herunterzusteigen und seine Arbeit fortzusetzen. Leider aber hatte er nicht bemerkt, daß der Förster ihn in der Baumkrone hatte verschwinden sehen. Der stellte sich, als habe er nichts Außergewöhnliches wahrgenommen und schritt ruhig seinen Gang weiter, der allerdings gerade auf den Baum zu zielte, auf dem der Besenbinder saß. An dem Baume angekommen, nahm nun der Hüter des Waldes seine Doppelflinte von der Schulter, zog die Hähne auf und richtete langsam die verderbenbringenden Rohre auf den Glessener Besenbinder dort oben in der Baumkrone. Dem überkam nun gewaltig die Angst, zitterte und bebte und flehte in herzerweichenden Tönen: „Ach, lever Rauwald, scheßt doch net!“

Natürlich hatte sich Förster Rauwald nur einen Spaß machen wollen, der ihm nun auch geglückt war. Er entließ den geängstigten Besenbinder, indem er ihm auf andere Weise die gerechte Strafe für den Holzfrevel zuteil werden ließ. --- Vor Heinrich Rauwald beaufsichtigte der Förster Schauff die Oberaußemer Waldungen, der seinerzeit das Gehöft des jetzigen Einwohners und Wirtes Mich. Esser bewohnte. Von seinen Vorgängern ist nur noch der Förster Jakob Crämer bekannt, der mit der Entstehung der Kapelle zu Bethlehem in Beziehung steht und um das Jahr 1600 gestorben ist. Auf Heinrich Rauwald folgte als Förster Johann Rauwald und nach dessen Tode im Jahre 1905 sein Sohn Heinrich Rauwald. <<

 

Pfarrer Anton Hoffschlag

„Heimatkunde von Oberaußem“, Josef Dürbaum

 

>> der frühere Pfarrer, wird als ein launiger und witziger Mann geschildert, von dem heute noch manche gute Witze erzählt werden, so z.B. auch folgender:

Eines Tages besuchte er einen Kranken, um ihm die Tröstungen der Kirche zu spenden. Es waren ärmliche Verhältnisse, unter denen der Kranke zu leben hatte, das sprach aus der ganzen Herrichtung des Kämmerchens heraus. Unter anderem hatte man wie es früher bei armen Leuten Sitte war, eine Grube zur Aufbewahrung der Kartoffeln in einer Ecke der Kammer angebracht, ähnlich einem kleinen Keller, der dann durch ein breites Brett, das nicht immer vom besten paßte, überdeckt war. Der Herr Pfarrer nun, nachdem er die hl. Handlungen vollendet hatte, plauderte noch ein Weilchen gemütlich und tröstend mit den Leuten und ging dabei in dem Kämmerlein hin und her, bis er endlich auf das Brett auf der Kartoffelgrube trat. Ein Krach, und der Herr Pfarrer saß tief unten bei den Kartoffeln. Nur noch mit dem Kopf über den Lehmboden des Kämmerleins hinausragend, meinte er, sich zu den ihn erschrocken anschauenden und hilfsbereit herbeispringenden Leuten wendend: Seht ihr, da habt ihr ja schon den St---fisch bei den Erdäpfeln.“ <<

 

Schule auf der Kalbhecke

„Heimatkunde von Oberaußem“, Josef Dürbaum

 

>> Bevor das Schulhaus an der Kirchstraße erbaut war, diente ein Gebäude an der Kalbhecke, an der Südwestterrasse des Kirchhofberges, wo jetzt kleine Pflanzgärtchen angelegt sind, zu Schulzwecken. Dasselbe soll in früherer Zeit mehr das Aussehen eines Stalles, denn eines Schulhauses gehabt haben. Es zeigte in seinem äußeren Aufbau rohe Lehmwände, der Fußboden des Klassenzimmers war lange ungedielt, und zurzeit war aus einer Wand ein Lehmfach herausgefallen, durch das die Kinder vielfach ein- und ausschlüpften. Schulbänke gab es noch nicht, die Schüler saßen auf Schemeln oder Bänken ohne Lehne und hielten die Tafel, die nur aus einem Stück Schieferlei ohne Rahmen bestand, mit der linken Hand umschlungen. Wenn man bedenkt, daß zu jener Zeit vielfach Handwerker das Schulhalten nur so nebenher betrieben, also es einen eigentlichen Lehrerstand noch gar nicht gab, so wird man sich derartige Zustände schon erklären können. Erst unter dem Lehrer Burbach, der im Jahre 1825 nach Oberaußem kam, wurden die Verhältnisse besser. Der Schulbesuch blieb jedoch lange Zeit äußerst unregelmäßig, und was gelernt wurde, war deshalb natürlich wenig. Bis zum Jahre 1815 war der Schulbesuch hierorts noch freiwillig, und erst unter Preußens Regierung wurde Schulzwang eingeführt. Daß man sich zum regelmäßigen Schulbesuch nicht allsogleich verstehen konnte, kann man sich leicht denken. Gerade aber in Oberaußem müssen nach den Berichten der Schulchronik in dieser Beziehung recht unerquickliche Verhältnisse obgewaltet haben. So sprach der derzeitige Schulpfleger Steven, der in den vierziger Jahren die Schulen inspizierte, von dem mangelhaften Schulbesuch als dem „Erbübel“ von Oberaußem. Ja, sogar der damalige Pfarrer Berg scheint sich mit dem strammen Regiment des regelmäßigen Pflichtschulbesuches schlecht haben versöhnen zu können, denn die Schulchronik sagt, daß die Behörde mit strengen Maßregeln auftreten mußte, weil er öffentlich in der Kirche den Schulkindern an zweien Nachmittagen, Dientags und Freitags, Versäumnis der Schule gestattete, um in der Umgegend betteln zu gehen. Auch von dem gemütlichen Schulbetrieb damaliger Zeiten erzählt man sich heute noch manch lustiges Stückchen u. a. folgendes: „An einem Morgen war eine Gruppe Kinder, auf Schemeln sitzend, mit Schreiben auf ein Stück Schieferlei beschäftigt. Ein Knabe indes, dem die Schreiberei augensichtlich kein Vergnügen bereitete, trieb Naturbetrachtungen zum Fenster hinaus. Da schien plötzlich etwas seine Aufmerksamkeit gebannt zu haben, noch ein kurzer prüfender Blick durch die Schmutzigen Fensterscheiben des Schulzimmers: und er fliegt mit einem Satze durch die durch das Hinausfallen des Lehmfaches entstandene Oeffnung, indem er einen Mitschülern zurief: „Do es ä Kneng!“ Die Knaben merken auf, werfen wie auf Kommando ihr Schreibzeug neben sich auf den Lehmboden und verschwinden sämtlich durch dieselbe Öffnung, um die Jagd auf das erspähte Kaninchen zu eröffnen. Vergeblich wartete der Lehrer auf die Wiederkehr der Meute, die Jagd dauerte fort bis gegen Mittag und der Unterricht durfte für heute Morgen mal wiederum als für beendet angesehen werden.“ <<

 

In der Schule an der Kirchstraße

„Heimatkunde von Oberaußem“, Josef Dürbaum

 

>> der […] Teil der Schule, jetzt die alte Schule genannt, welche oben den Schulsaal der 3. Klasse und unten die Lehrerinnenwohnung umfaßt, hatte früher zwei Schulsäle, den einen im Erdgeschoß, den anderen im ersten Stockwerke. Auch dieses Gebäude hat sich zurzeit in einem äußerst mangelhaften baulichen Zustande befunden, was aus mancher Anekdote, die uns die älteren Leute noch heute mitzuteilen wissen, hervorgeht. So erzählt ein Augenzeuge aus jener guten alten Zeit auch folgendes Geschichtchen: „Wir größeren Kinder saßen in dem oberen Saale, während die kleinen das Schulzimmer zur ebenen Erde inne hatten. Die Decke und der Fußboden, die die beiden Säle von einander trennten, waren sehr schlecht und an verschiedenen Stellen waren Löcher, so groß, daß man die unten sitzenden vom oberen Schulsaale aus beobachten konnte. Die Aufsicht durch die Lehrer war zu jener Zeit bei weitem nicht so strenge, als das heute der Fall ist, und drum konnten wir uns damals allerlei Streiche erlauben, die bei dem heutigen Ernst der Schularbeit nicht mehr möglich sind. So ließ denn mehrmals ein schelmischer Bursche unter uns während des Schreibens ein Püppchen, das er sich aus Wachs geformt hatte, an einer langen Kordel durch ein Loch im Fußboden herab in den unteren Schulsaal. Als das Püppchen bis zur Mannshöhe vom Fußboden unten angekommen war, wurde es von den Kleinen entdeckt, und in demselben Augenblicke hörten wir einen furchtbaren Lärm einsetzen, aus dem die Worte: ä Kählsche, ä Pöppche, ä Männche, do kütt et äraff! hervorklangen. Der Lehrer der unteren Klasse hatte nun natürlich nichts Eiligeres zu tun, als mit Blitzesschnelle die Treppe hinaufzuspringen, um dort oben den ungezogenen Burschen abzufangen. Der aber hatte mittlerweile sein Männchen wieder hochgezogen, die Kordel flink aufgerollt und das Ganze an einen intimen Freund weitergegeben, unter dessen Sitz der Fußboden noch ganz war, und der somit nicht in den Verdacht stehen konnte, die üble Tat vollbracht zu haben. Der Lehrer mußte unverrichteter Sache wieder abziehen, und unser Held freute sich, daß ihm sein Werk, ohne Keile zu erhalten, geglückt war. <<

 

 

Altröders Hermann

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> Um das Jahr 1880 betete in der alten Kirche der Altröders Hermann, sein Name war vermutlich Großmann, in betrunkenem Zustande in der nächtlichen Betstunde auf Ewig Gebet folgende Litanei: “Ihr heiligen drei Ackersmänncher, ihr heiligen drei Backofenmänncher, du erbärmlicher Schneider, der du auf einem Geißbock geritten bist.“ Die Betenden antworteten: “Bitt für uns“. Da rief der Hermann:

“Erbarme dich unser, sollt Ihr sagen!“ Dann ging’s weiter: “Du Besieger der Franzosen, der du 3 Meilen hinter Quadrath gestanden hast.“ Dann wurde erkannt was vor sich ging und beherzte Männer zerrten den Hermann aus der Kirche. <<

 

„Bunneknipper“

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> Um 1910 gab es noch abergläubige Leute in Oberaussem, die an Hexerei glaubten. Die alte verwitwete Anna Sibilla Schallenberg (1831 - 1917) in der Friedhofstraße sollte im Stande gewesen sein, nicht wohlwollenden Menschen Läuse in großen Mengen an den Körper zu hexen. Es gab tatsächlich Leute, die dieses glaubten. Frau Schallenberg war sehr alt und kindisch geworden. Im Volksmund wurde sie “Bunneknipper“ genannt. <<


Der Vossigans Peter

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> Vor 1900 lebte im jetzigen Hause der Familie Füser, Ecke Bahn- ­und Mittelstraße, ein Mann, der Vossigans Peter genannt wurde. Er war angeblich von einem tollwütigen Hunde gebissen worden. Diese Wunde wurde früher ausgebrannt und dadurch sollte alles behoben sein. Falls nun in Zukunft einer von einem tollwütigen Hunde gebissen wurde, sollte dieser zu Vossigans Peter gehen und um Ausstand bitten. Das hieß, dass dieser die Kraft hatte, zu verhüten, daß vor Ablauf von 8 Tagen eine Entzündung stattfand. Innerhalb von 8 Tagen musste der Gebissene den Arzt aufsuchen. Es gab nach 1900 noch immer Leute, die an diesen Unsinn glaubten. Vermutlich ist damals niemand von einem tollwütigen Hunde, sondern nur von einem bissigen Hunde gebissen worden. <<

 

Die Geschichte vom Schmedts-Franzis

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> Franziskus Großmann, allgemein genannt Schmedts-Franzis, wohnte Ecke Haupt- und Fortunastraße. Er war um 1850 geboren. Er hatte nur noch ein Auge und, da er kein künstliches Auge hatte, machte er einen sonderbaren Eindruck. Er war kinderlos und hatte stets Appetit auf Oberaussemer Korn. Sehr oft nahm er des Guten zuviel. Franzis blieb auch im betrunkenen Zustand harmlos. Wir Jungens und auch die älteren Jahrgänge hörten Franzis gern zu. Folgende Erzählung will ich hier wiedergeben:

Ich (Franzis) fuhr nachmittags mit meinem Va zum Panneschopp nach Ichendorf, um eine Schiebkarre Dachpfannen zu holen. Bei Dunkelheit kamen wir zurück. Wir schnitten an der Fortunastraße (vor dem jetzigen Schlagbaum) die Straßenkehre ab und fuhren geradeaus über einen Fußpfad. Mein Vater fuhr die Schiebkarre und ich zog an einem Seil. Plötzlich hielt mein Va an und sagte:

“Franzis, da steht einer.“ lch sagte: “Va, ich sinn en ooch.“ Wir waren ze bang, um weiterzufahren. 10 bis 20 Minuten hatten wir do gestanden, dä Kääl ging net fott. Mi Va säht: “Franzis, mir setze jetz ne Galopp an um dann geht et drüver her.“ Gesäht – gedonn! Im Galopp ref me Va: “Kaäl gangk fott udder mir fahre dich em Namen Jesus - Maria und Josef kapott.“ Un wat ment ihr well, et war nur eh dööre Ries. <<

 

Der Wilddieb Peter Utzenrath

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> Ende des 19. Jahrhunderte war hier die Wilddieberei Gang und Gäbe, teils aus Leidenschaft und teils, um den Fleischtopf etwas aufzubessern. Selbst besser gestellte Einwohner versuchten ab und zu ein Stück Wild zu ergattern.

 

Ein leidenschaftlicher und unverbesserlicher Wilddieb war der um 1868 geborene und gegen 1935 verstorbene Peter Utzenrath aus Oberaussem. Wie seine Leidenschaft den Anfang nahm, will ich hier erläutern: Sein Vater war der Meisterknecht im Baumannshof und wurde von Josef Baumann als Jagdaufseher eingesetzt. Dadurch kam dieser in den Besitz eines Jagdgewehrs. Der Sohn Peter nahm dieses Gewehr eines abends heimlich und setzte sich hinter den Driesch. Er hatte gleich Erfolg und erlegte als 12-jähriger Junge einen Hasen von über 10 Pfund Gewicht. Die Leidenschaft hatte so ihren Anfang und bis zu seinem Tode kein Ende genommen. Als aktiver Soldat dissertierte er, um seiner Leidenschaft frönen zu können. Er erhielt 9 Monate Festung für seine Flucht. Bis zu seiner Ergreifung hatte er noch 1 Jahr lang in einem Kölner Vorort gearbeitet.

Nach seiner Entlassung und auch nach seiner Verheiratung ließ er nicht von der Wilddieberei ab. Auf seinen Streifzügen wurde er später von dem Staatsförster Schumacher, vom Forstrevier Königsdorf erwischt und auf der Flucht von diesem zusammengeschossen. Für diese Tat erhielt Utzenrath 2 1/2 Jahre Gefängnis. Trotz dieser hohen Strafe ging er bis kurz vor seinem Tode dem unsauberen Handwerk nach. Er konnte nicht verstehen, daß das Wild nicht für alle Menschen da sei. Er trug sogar später regelrechte grüne Försteruniform, natürlich ohne Abzeichen (Schulterstücke usw.). Nachdem seine erste Frau, mit der er 1 Tochter und 2 Söhne hatte, starb, verheiratete er sich wieder und ließ sich nach kurzer Zeit scheiden. Er starb 67-jährig in Köln-Ehrenfeld.

Zu der damaligen Zeit diente die alte Mühle zur Beobachtung des Wildes. Bei Schnee wurde darauf geachtet, wo ein Hase sich hatte einschneien lassen. Dieses war auch dem damaligen Förster Heinrich Rauwald nicht unbekannt und er ging des Öfteren beim Mondenschein das Revier um die Mühle ab. Die in der Mühle lauernden Wilddiebe hatten aber auch dieses bemerkt. Alsdann versuchten sie, den Förster ins Bockshorn zu jagen. Sie stellten eine Strohpuppe mit einem Besenstiel im Anschlag auf und warteten der Dinge, die da kommen würden. Wie die Sache auslief, geht aus anhängendem Lied, welches von dem damaligen Lokaldichter Heinrich Hintzen aus dem Fleurshof, geb. 19.4.1873 und gestorben 13.1.1912, verfaßt wurde, hervor. Auch ein Zeitungsartikel meldete diesen Vorgang. <<

 

Ein unkameradschaftlicher Wilddieb

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> An anderer Stelle ist bereits auf die Wilddiebereien hingewiesen worden. Auch mein Vater war einer von denen, die ab und zu einen Hasen erlegen wollten. Nun trug sich folgendes zu. Eines Abends, um das Jahr 1890, bat der Nachbar Johann Hintzen meinen Vater, mit auf den Anstand hinter dem Driesch zu gehen. Beide gingen bei mondscheinheller Nacht hin. Plötzlich sahen sie einen Jagdaufseher kommen und machten Reißaus. Hintzen, der kein schneller Läufer war, wurde erwischt. Noch am gleichen Abend fragte mein Vater ihn, ob er ihn verraten habe. Hintzen verneinte dies. Vater garantierte ihm, falls er ihn nicht verraten würde, für alle Unkosten, gleich welcher Art, voll und ganz aufzukommen. Hintzen sagte fest zu. Trotz allem verriet Hintzen meinen Vater bei der polizeilichen Vernehmung und stellte außerdem meinen Vater als Verführer hin. Dadurch erhielt mein Vater eine Gefängnisstrafe von 6 Wochen und Hintzen nur 2 Wochen. Die Freundschaft war für alle Zeit vorbei. Hintzen verunglückte später im Adolfschacht auf Fortuna tödlich. Während mein Vater seine Strafe verbüßte, führte einer namens Johann Hecker den Bäckereibetrieb im Lohnverfahren weiter.

Die Landwirte standen damals nicht auf bestem Fuße mit den Jagdinhabern. Meistens ging der Streit um die Höhe der Wildschadenentschädigung. Als dann gegen 1910 der damalige Gemeinde- und Jagdvorsteher Johann Nicolin die Jagd nicht öffentlich, sondern unter der Hand an den damaligen Direktor Dr. Silverberg verpachte­te, wurde das Feuer noch geschürt. Auf Karneval bauten einige Männer einen Jagdwagen mit Insassen, die folgende Jagdberechtigte darstellen sollten: Dr. Silverberg, Johann Nicolin, Förster Rauwald, Anton Horst usw. Die Jagdinhaber stellten Strafantrag wegen Beleidigung. Die Klage wurde jedoch wegen Belanglosigkeit abgewiesen. Auch zu dieser Sache verfaßte Heinrich Hintzen wieder ein passendes Lied.

Zu der Gründung der Molkereigenossenschaft Niederaußem 1894, wogegen sich viele Bauern stemmten, machte Hintzen in einem Liede seine Glossen. Er verstarb leider allzu früh. <<

 

Die Sündertafel.

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> In der Wirtschaft von Michael Esser hing hinter der Theke gut sichtbar eine große Tafel. Auf dieser war zu lesen, wer Schnaps oder Bier getrunken hatte, ohne zu bezahlen. Als ein Gast Esser darauf aufmerksam machte, daß dies nicht schön sei, meinte Esser, Alkohol wäre nicht unbedingt nötig. Wer kein Geld habe, solle auch keinen auf Pump trinken. Diese Tafel sei ein Erziehungsmittel. Alle sorgten, dass sie schnellstens von der Tafel fortkamen bzw. nicht darauf kommen würden. <<


Eierkippen

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

Eine Ostersitte war das Eierkippen. Es fand hauptsächlich in der früheren Metzgerei Odenthal statt. Die Metzgerei war in einem zur Brennerei Esser gehörenden Hause an der Stelle, wo sich jetzt das Konsumgeschäft befindet. Odenthal hielt Eier auf Vorrat, die käuflich zu haben waren. Durch Anschlagen der Eier an seine Zähne stellte Odenthal die Stärke der Eierschale fest. Dieses klappte nicht immer, denn er wollte auch die dünnschaligen Eier verkaufen.

 

Krieg zwischen Jugend von Oberaußem und Niederaußem

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> Als Schüler hatten wir stets Krieg mit den Schülern von Niederaußem. Der Kampfplatz war in den Benden. Allgemein blieb es beim Zusammenstoß bei einer Prügelei. Aber eines Tages ereignete sich ein Unglück. Der Schüler Heinrich Utzenrath schoß mit einer 6 mm Taschenpistole und traf den Schüler Zander aus Niederaußem ins Auge. Dieser verlor die Sehkraft. <<


Der weiße Mann

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> Vor dem 2. Weltkrieg ging ein Gerücht um, daß sich unterhalb des Friedhofes nachts ein weißer Mann herumtriebe. Daraufhin schwärmte eines Nachts eine Abteilung der damaligen SA (Sturmabteilung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, kurz genannt “Hitlerpartei“) aus, um den weißen Mann zu stellen. Sie hatten anscheinend Glück und stürmten mit Kriegsgeschrei auf etwas Verdächtiges, das sie sahen, los. Aber es war nur ein Papierdrachen (Windvogel), der sich in der Hochspannungsleitung verfangen hatte. Weitere Erkundungen unterblieben. Der weiße Mann soll vermutlich ein Mädchen gewesen sein, das sich vor unsittlicher Annäherung seines Vaters geflüchtet hatte. Ein Beweis dieser Behauptung ist nie bekannt geworden. <<


Ein seltener Mann

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> Da noch mehrere Nachkommen des seltenen Mannes in Oberaussem leben, will ich ihn kurz Johann nennen. Er starb um 1910. Er, Johann, betrieb mit einem Zugochsen eine kleine Landwirtschaft. Er nannte stets den Ochsen mit dem Namen eines ihm nicht gutgesinnt vorkommenden Beamten aus Bergheim.

Johann hatte einen jungen Ochsen vor einen mit Stallmist beladenen Karren gespannt und den großen Ochsen hinten am Karren angebunden. Auf die Frage eines Nachbarn, warum das Jungtier eingespannt sei, antwortete er: „Das Sautier hat mir gestern auf den Fuß getreten, wenn es jetzt umschaut, ärgert es sich, daß der Alte dahinter geht, das ist seine Strafe.

Mit dem Gutsbesitzer Josef Baumann lebte Johann in Feindschaft. Am Tage vor Frohleichnam bemalte Johann in Überlebensgröße auf die Vorderfront seines weißgekälkten Hauses einen Mann mit abnorm langen Füßen und schrieb die Buchstaben J - B dran. Da Baumann über 2 m groß war, erkannten alle Teilnehmer der Fronleichnams-Prozession den Sinn des Gemäldes. Am anderen Tage wurde die Hausfront neu gekälkt.

Im Frühsommer holte Johann eine Fuhre Rohbraunkohle auf Fortuna. Diese stapelte er, soweit wie möglich, neben dem Ofen in der Küche auf, damit er sie bei Kälte griffbereit hatte.

Über seinem Bett brach ein Balken. Johann holte im Walde einen jungen Eichbaum und fertigt. davon eine Stütze an. Diese Stütze stand in der Mitte seines Bettes. An einer Seite der Stütze schlief er und an der anderen Seite seine Frau. Es dauerte lange bis zur Änderung dieses Zustandes.

Johanns Taten können nicht alle wiedergegeben werden. <<

 

Der Geldsegen aus Amerika

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> Zum besseren Verständnis muss zuerst folgendes näher beschrieben werden. Meine Mutter hatte eine Cousine namens Sibilla Bünnagel. Deren Verehrer namens Anton Schall wollte als Elsässer nicht beim Preußischen Militär Dienst leisten und wanderte deshalb aus nach Argentinien. Seine Braut folgte ihm nach, und sie schlossen dort die Ehe. Diese Familie kam zum Wohlstand. Frau Schall hat ihre Verwandten in Oberaussem zweimal aus Argentinien besucht.

Am 2. April 1925 erhielt mein Onkel Konrad Esser, Friedhofstraße, ein Schreiben der Amerikanischen Bank aus Köln, Komödienstraße, mit folgendem Inhalt: “Ihr Verwandter, Antonio Schall aus San Juan, Argentinien, spielte für seine in Oberaussem wohnenden und noch lebenden Verwandten ein Los in der Preuß. Klassenlotterie. Auf dieses Los fiel ein Gewinn von 200 Tausend Mark. Dieses Geld brachte bereits 16 000 Mark an Zinsen. Ein Sparkassenbuch über diesen Betrag ist beigefügt. Dieser Betrag kann gegen Ausweis,

Paß und Lebensbescheinigung bei der Amerikanischen Bank in Empfang genommen werden.

In dem Moment, wo Esser den Brief öffnete und voller Freude seiner Frau davon Mitteilung machte, erschien der Nachbar Christian Schmitz und erfuhr gleich diese Neuigkeit. Da Schmitz eine Tageszeitung in vielen Häusern zustellte, erfuhren viele diese Sensation. Dadurch verbreitete sich diese Sache in Oberaussem und den umliegenden Dörfern schnellstens. Am gleichen Tage traten die 4 Geschwister Esser zusammen. Jetzt tauchte die Frage auf ob der Bruder Martin, der in Vanikum wohnte, teilhaftig sei oder nicht. Einer sagte nein, aber die Mehrheit siegte und man entschloss sich, auch diesem ein Fünftel zukommen zu lassen.

Jetzt traten aber noch 2 weitere Parteien auf, die ihren Anspruch glaubhaft machen wollten. Es war erstens der Landwirt Jakob Esser aus der Brennerei Esser und zweitens der Invalide Jakob Cremer in der Büsdorferstraße. Jakob Esser glaubte, es sei Geld aus einem Guthaben seines Onkels Kaspar Esser und Jakob Cremer nahm an, es sei von seinem nach Amerika ausgewanderten Verwandten Konrad Esser. Beide wurden belehrt, daß das Geld für die Verwandten von Konrad Esser bestimmt sei.

Am gleichen Tage fuhr ich nach Köln. Bei meiner Rückkehr von Köln erfuhr ich von all den geschmiedeten Plänen der 5 reichen Leute. Da der Eingang des Schreibens hart am 1. April lag, vermutete ich einen Aprilscherz. Abends ging ich mit meinem Bruder Wilhelm und Vetter Sebastian Esser aus der Büsdorferstraße zum Onkel Konrad. Ich stellte dann fest, daß es ein Aprilscherz war. Das Sparkassenbuch war eine Reklame eines Kölner Lotterieeinnehmers und die Amerikanische Bank existierte nicht in Köln. Vorsichtig, damit der Schreck nicht zu plötzlich kam, mußte ich den Onkel aufklären. Dieser glaubte immer noch nicht an den Scherz. Osterdienstag mußte seine Tochter Adelheid in Köln nach der Amerikanischen Bank Ausschau halten. Aber leider war die angegebene Nummer in der Komödienstraße ein Kölner Bierrestaurant. Alles das niederzuschreiben, was die wohlhabenden Leute existierte nicht in Köln. Vorsichtig, damit der Schreck nicht zu plötzlich kam, mußte ich den Onkel aufklären. Dieser glaubte immer noch nicht an den Scherz. Osterdienstag mußte seine Tochter Adelheid in Köln nach der Amerikanischen Bank Ausschau halten. Aber leider war die angegebene Nummer in der Komödienstraße ein Kölner Bierrestaurant. Alles das niederzuschreiben, was die wohlhabenden Leute mit dem Geld machen wollten, würde ein Buch geben. Der eine wollte neu bauen, der andere renovieren, wieder einer Schulden abtragen usw. usw. - Leider wurde es keine Wirklichkeit. <<

 

Der Maibaum als Symbol der N S D A P

Dorf- und Familienchronik des Oberaußemers Martin Schneider

 

>> Bis 1933 wurde alljährlich von der Maigesellschaft auf dem Dorfplatz ein Maibaum gesetzt. Ab 1933 durfte dieses nur noch von den Jugendorganisationen der Hitler-Partei erfolgen. Bei der Feier am Maibaum tanzte der Bund Deutscher Mädel und sang Parteilieder. Die Jugend, die abseits der Partei stand, wurde nicht gern bei der Feier gesehen. Im Jahre 1942 schlichen sich die Fünfzehnjährigen, W. S. und A. S., in der Dunkelheit an den Maibaum heran und sägten diesen ab. Die Parteileitung sah dieses als Sabotage an und forschte ohne Ergebnis nach den Tätern. Sie suchte die Täter unter ihren Gegnern. Es war aber letzten Endes nur ein dummer Jungenstreich. Aber wehe, wenn man die Täter erfaßt hätte. <<

 

 

Der Oberaußemer Nagelmorgen

Chronik von Christian Kämmerling, 100 Jahre Pfarrkirche St. Vinzentius Oberaußem

 

Zu der unter Napoleon angeordneten Versorgung der Pfarrer durch die Gemeinde, finden wir in der Chronik von Christian Kämmerling für den Ort Oberaußem einen Hinweis. Ende des 18. Jahrhunderts gab es in der Pfarrkirche zu Oberaußem eine Stiftung in Ländereien (Nagelmorgen genannt),  deren Ertrag ab 1810 zur Versorgung des Pfarrers diente.

>> Kämmerling schreibt dazu über eine Begebenheit aus dem Jahre 1839, die sich in der Amtszeit des Pfarrers Martin Schröder zugetragen hat und auch noch nachweislich in die Zeit des nachfolgenden Pfarrers Franz Peter Berg, des Vorgängers von Pfarrer Richartz, hineinspielt, und zwar hatte der Kirchenvorstand “eigenmächtig zum Nutzen der Kirchenfabrik“ einen Morgen Ackerland verpachtet, dessen Ertrag dem Pfarrer seit Jahren zustand. Der Pfarrer fühlte sich seines Ertrages “beraubt“.

In der Eingabe an das Generalvikariat vom 24. Juni 1839 schrieb der Pfarrer:

“In der Pfarrkirche zu Oberaussem bestehet eine Stiftung in Länderei ohne angebliche Morgenzahl, unter dem Titel einer Bruderschaft zu Ehren Jesu, Mariä und Josephs und des heilichen Vinzentius Märtyrer und Kirchenpatron, wovon der Pfarrer laut Stiftung den ganzen Betrag gegen gewisse Verbind­lichkeiten erhält.

Bei dieser Stiftung ist ein Morgen Ackerland, der nennt sich “Nagelmorgen“, und zwar aus dieser Ur­sache, weil er zur Anschaffung der Nägel an den Todtensärgen der verstorbenen Brüder und Schwestern aus der Bruderschaft des heiligen Vinzentius be­stimmt war. Als aber um das Jahr achtzehnhundertzehn ungefehr gar wenige oder fast keine Nägel mehr an den Todtensärgen gebraucht wurden, hat der damalige Bruderschafts- und Kirchenvorstand den besagten Nagelmorgen einem gewissen Schmiede Namens Kemmerling zu Oberaussem, der denselben, wie auch dessen Vater und Großvater vor unerdenklichen Jahren her gegen unentgeldliche Lieferung der oben besagten Nägel in Benutzung gehabt haben, auf was für eine Art, weiß unterzeichneter nicht, abgenommen und der selben bei der Bruderschaft als Primizal gelassen, und den jährlichen Betrag desselben den Pfarrern überlassen, von wo an bis achtzehnhundertneunund­dreißig inclusiv die Pfarrer dessen Ertrag ganz ohne Scrupel genossen haben.“

In dem Antwortschreiben des Generalvikariates, welches über den Landdechanten und Pfarrer Bono in Morken übermittelt wurde, heißt es:

“Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der sogenannte Nagelmorgen, wie eben die Benennung andeutet, früher dazu bestimmt war, daß aus dessen Erträge die Nägel an den Todtensärgen der Verstorbenen aus der Bruderschaft zu Oberaussem verfertigt wurden, weshalb dann auch mehrmal in den alten Verpachtungs-Protokollen bemerkt wird, daß derselbe einem Schmiede unter der Verpflichtung zur unentgeltlichen Benutzung überlas­sen worden ist, dagegen die Todtennägel zu liefern.

Wenn ja dessen dieser Gebrauch jetzt abgekommen ist und die Todtennägel von den Angehörigen der Verstor­benen angeschafft wurden, so scheint deshalb der Herr Pfarrer kein Recht auf die Benutzung dieses Grund­stücks, welches er nachweislich sonst nicht gehabt hat, erhalten zu haben, sondern vielmehr der Pacht­vertrag mit Recht und zum Nutzen der Kirchenfabrik, welche der Gemeinde wieder zu gut kommt, verwendet zu werden.

Euer Hochwürden wollen deshalb hiernach in Folge Ihres Berichtes vom 24. l.M. Herrn Pfarrer -und Kirchenvorstand zu Oberaussem bescheiden.

Das Erzbischöfliche Generalvikariat gez. Hüsgen.“

Der Pfarrer hat sich dann erneut gegen diese Entscheidung des Vikariates gewehrt und führte an, daß im Gemeinde-La­gerbuch zu Oberaussem der sogenannte Nagelmorgen als “Pastoral—Gut“ ausgewiesen ist und fragte nach dem Recht oder Unrecht, aus dem der frühere Kirchenvorstand über Jahrzehnte den Pfarrern den Ertrag überlassen hatte und dem möglichen Recht oder Unrecht des jetzigen Kirchenvor­standes, der nunmehr den Ertrag verweigere. Er schloß seine Eingabe mit den Worten: “Sollte aber auch das Vikariat ohne weitere Unter­suchung bei der gegebenen Verfügung verbleiben, so wünscht unterzeichneter begierig seine Schuldigkeit für den Genuß der Vergangenheit zu wissen.“

Das Vikariat entschied dann schließlich, daß es bei seiner Verfügung “sein Bewenden behält“, wollte aber nichts da­gegen einwenden, wenn der Kirchenvorstand dem Pfarrer den Ertrag des Nagelmorgens belassen wolle. <<

 

 

 

Abenteuerspielplatz Pfarrkirche und alte Schule Oberaußem

Ausschnitt aus der Autobiographie von Ulrich Reimann

 

>> […] Die Oberaußemer Pfarrkirche St. Vinzentius, mit ihrem Umfeld und das Gelände der angrenzenden alten Ortsschule an der Kirchstraße, waren zum Leidwesen des damaligen Ortspfarrers Johannes Öhm und der Bewohner der alten Schule, auch ein beliebtes Spielrevier von uns Kindern. Besonders der Platz vor der Kirche, auf dem sich heute das Kriegerdenkmal und der Kirchturm der einstigen St. Barbarakirche von Fortuna befinden, war einer unserer Lieblingsplätze. Hier spielten wir gerne Fußball, was natürlich eigentlich nicht erlaubt war, wobei der Anwohner Anton Rommerskirchen sich am häufigsten darüber geärgert und aufgeregt hatte. Natürlich war mit dem Bau des neuen Ehrenmals auf dem Kirchenvorplatz im Jahre 1954, die Nutzung des Geländes als Spielplatz vorbei. Da es nach dem Krieg, Anfang der 50ziger Jahre, ja kaum Straßenverkehr gab, spielten wir stattdessen in der heutigen Pfarrer-Richartz-Straße Fußball. Dies ärgerte Anton Rommerskirchen allerdings noch mehr, so daß er uns einige male den Ball wegnahm und einbehielt. Aber je mehr er sich ärgerte, desto größer war unsere Freude, zumal unsere Eltern dafür sorgten, daß Anton die einbehaltenen Bälle wieder herausgeben mußte.

 

Das Gelände der alten Schule an der Kirchstraße, bot mit seinem großen Hof und den teilweise durch Kriegseinwirkung stark beschädigten Nebengebäuden, auch gute Spielmöglichkeiten. Vor allem im Sommer wurde es hier spannend, wenn die dort wohnende Großfamilie Kümpel,  aus buntem Papier selbst gefertigte Heißluftballons in den Abendhimmel steigen ließ. Dies war stets ein besonderes Ereignis für groß und klein der Schulhausbewohner und die gesamte Nachbarschaft.

 

Das Lieblingsobjekt vieler Oberaußemer Schüler war damals aber das Kirchengebäude selbst. Zum Leidwesen der Pfarrgemeinde, des Pfarrherrn und des Küsters Hermann Bellen, hatte sich die Pfarrkirche nach dem Krieg zu einem Tummelplatz für junge Kletterkünstler entwickelt. Unter den Jungs galt es einfach als das Größte, die Kirche vom Boden bis hinauf zur Turmausstiegsöffnung unterhalb des Wetterhahns, außen am Gemäuer, über das Dach und den Innenteil des Turmes zu besteigen, was nicht viele schafften.

 

In den ersten Nachkriegsjahren wurde dem Kirchengebäude neben den eigentlichen Kriegsschäden, auch so manch ein großer materieller Schaden durch Metalldiebstahl zugefügt. Das an der Kirche verbaute Metall wie Zinkblech, Blei und Kupfer, konnte beim Altmetallhändler Lorbach in der Mittelstraße, ohne großes Risiko, gegen gutes Geld verkauft werden. Eines Tages war der Metalldiebstahl aufgeflogen und die Diebe, einige Oberaußemer Schüler, waren erwischt worden. Es hatte ein großes Trara gegeben und die Beseitigung der durch den Metalldiebstahl entstandenen Schäden an der Kirche, mußte von den Dieben bzw. deren Eltern ersetzt werden.

 

Einer der besten Gebäudekletterer an der Kirche war Klaus K., der mit seiner Familie nach dem Krieg als Flüchtling in Oberaußem gelandet war. Klaus ging mit meinem Bruder in eine Schulklasse. Er kannte alle Klettertricks die man einsetzen mußte, um die baulichen Gegebenheiten der Kirche, wie Pfeiler, Mauervorsprünge, Mauernischen, Fenstergitter, Regenrinnen, Blitzableiter, als Hilfsmittel bei der Kirchenbesteigung zu nutzen. Bereits als ich neun Jahre alt war, hatte er mich in seine Künste eingeweiht und mit mir zusammen die Seitenschiffe der Kirche bestiegen. Ich hatte rasch von ihm gelernt und es hat auch nicht allzu lange mehr gedauert, bis ich unter Anleitung von Klaus, die Ausstiegsluke des Kirchturmes, kurz unterhalb des Wetterhahns, von außen erreichen konnte. Der Aufstieg war äußerst schwierig und sehr gefährlich, was mich, damals noch kleinen Knirps, aber überhaupt nicht abgeschreckt hatte das Abenteuer einzugehen und erfolgreich zu bestehen.

 

Der Start einer Besteigung erfolgte generell am rechten Seitenschiff der Kirche, gegenüber der Marienkapelle. Eine Nische zwischen der stirnseitigen Wand und einem gemauerten Pfeiler, hier führte auch ein Regenfallrohr vom Boden aus zum Dach des Seitenschiffes, war der Einstieg. Dort musste man anfangen, indem man den Rücken und einen Fuß gegen die Wand und den anderen Fuß gegen den Pfeiler drückte. Mittels Stemmbewegung der Beine konnte man sich dann nach oben bis zur Dachrinne hocharbeiten. War die Regenrinne erst erreicht, konnte der Kletterer sich mit etwas Geschick, an dieser auf das Dach über dem rechten Seitenaltar hangeln. Von dort aus mußte man dann über das nicht allzu steil abfallende Dach des Seitenschiffes, entlang der Außenwand des Hauptschiffes, zum Kirchturm gehen. Hier führte ein Regenfallrohr hoch zur Regensammelrinne des Mittelschiffes. Direkt neben diesem Fallrohr war ein zum Boden führender Teil der Blitzableiteranlage des Kirchturmes montiert. Regenrohr und Blitzableiter bildeten zwar eine gute Kletterhilfe, dennoch war die Kletterei vom Dach des Seitenschiffes auf das höher stehende Dach des Kirchenmittelschiffes, am Blitzarbeiter entlang sehr schwierig und erforderte großen Mut. Besonders der Übergang vom Blitzableiter in die Regensammelrinne des Mittelschiffes erforderte Kraft, Geschicklichkeit und höchst Konzentration, es war wohl die Schüsselstelle des gesamten Aufstiegsweges. Hatte man diese Stelle überwunden führte der weitere Weg in der Regenrinne am Dach entlang bis zum ersten Dachfenster. Das hölzerne Türchen des „Fensterkapeuschens“ ließ sich leicht von außen öffnen, so daß man leicht nach innen auf den Dachboden des Mittelschiffes gelangen konnte. Von hier aus war der weitere Weg nach oben ein Kinderspiel. Vom Dachboden aus ging es durch eine unverschlossene Metalltür in einen Raum des Kirchturmes, in dem sich in einem großen Holzschrank das schwere Uhrwerk der Kirchturmuhr befindet. Weiter nach oben führte damals eine lange, steil stehende Holzsprossenleiter bis zum Raum mit dem Glockenstuhl. Hier hängen die drei schweren Kirchenglocken. Es ist dort, wo man von außen, unterhalb der Turmuhren, die Schallöffnungen  des Turmes sieht. Bereits durch die Glockenschallöffnungen hat man eine tolle Fernsicht und eine schöne Rundumsicht auf Oberaußem.

Der weitere Weg nach oben führt über mehrere, mittels kleinerer Holzleitern miteinander verbundenen Etagen, innerhalb des hölzernen Teils des Kirchturmes, der natürlich aufgrund seiner sehr spitz zulaufenden Form, von Stockwerk zu Stockwerk stets enger wird. Nach, ich glaube fünf Etagen, erreicht man die kleine Kammer mit der östlichen Ausstiegsluke, die von einer außen montierten Holzklappe verschlossen ist. Von dieser Luke aus, bietet sich eine grandiose Fernsicht über Oberaußem und das Umland. Ich glaube, daß es nicht viele Oberaußemer gibt, die diesen Blick auf unseren Ort und darüber hinaus, schon einmal real genießen konnten.

Hier, am so genannten „Kirchturmkläppchen“, endete für die meisten der illegalen Turmbesteiger der Weg nach oben.

Der letzte mögliche Höhenabschnitt bis zum Wetterhahn, ist nur außen an der Turmspitze mittels der dort fest montierten Steigeisen und mit Sicherheitsleinen machbar. Es war einfach zu gefährlich und ich glaube auch nicht, daß diese waghalsige Kletterpartie von vielen durchgeführt worden ist.

Das von Klaus K. an  mich vermittelte Wissen und die gewonnenen praktischen Erfahrungen, gab ich dann schnell an meine Freunde weiter. Zusammen haben wir dann oft den Kirchturm auf dem vorbeschriebenen Weg bestiegen, wobei auch wir die Kletterpartien stets am Turmkläppchen beendeten.

Nachdem uns  der erste gemeinsame Turmaufstieg geglückt war, hatten wir die Kirche eine Zeit lang als unser Lieblingsrevier auserkoren. Der Dachbodenraum über dem Seitenaltar des rechten Seitenschiffes wurde unser geheimes Hauptquartier. Zugang zum gesamten Dachboden des Seitenschiffes hatte man durch die kleine Holztür der Dachgaube.

Als der Pfarrherr Johannes Oehm und die Pfarrgemeinde erkannten, daß die Kirche immer öfter von Kindern bestiegen wurde, ließ man die gegenüber der Marienkapelle befindliche Aufstiegsnische, zwischen der stirnseitigen Wand und einem gemauerten Pfeiler, mit dem als Aufstiegshilfe fungierenden Regenfallrohr, mit Stacheldraht versperren. Der Pfarrer glaubte, dadurch sei der Aufstieg auf das Dach des Seitenschiffes und auch auf den Turm nicht mehr so einfach möglich. Außerdem wurden die Holztüren der Dachgauben mittels Vorhängeschlösser verschlossen. Aber da irrte der Pfarrer. Eigentlich war es durch den Stacheldrahtverhau noch einfacher geworden auf das Seitendach zu gelangen.

Unter der nun abgeschlossenen Gaubentür befand sich ein, durch den Dachüberstand der Gaube, vom Erdboden aus, nicht sichtbares Loch im Mauerwerk. Durch die Wegnahme weniger Ziegelsteine hatte jemand für eine Vergrößerung des Mauerlochs gesorgt, durch das wir weiterhin in den Dachbodenraum über dem rechten Kirchenseitenschiff gelangen konnten. Es war quasi unser Geheimzugang, der auch lange Zeit unentdeckt geblieben war. Da es in den Dachbodenräumen der Kirche dunkel war, hatten wir einige selbstgefertigte Kerzen mit dort hinein geschafft, die uns als Beleuchtung dienten.

Bei schlechtem Wetter waren wir damals häufig auf die Kirche geklettert und haben uns im seitlichen Dachbodenraum aufgehalten. Unter dem schützenden Kirchendach schmiedeten wir unsere Pläne, wir fühlten uns dort unbeobachtet und sicher. 

 

Als im Jahre 1958 an dem Kirchengebäude umfangreiche Instandhaltungsarbeiten durchgeführt worden sind, gab es um den Turm ein hohes Baugerüst, das bis zu den Schalllöchern reichte. An diesem Gerüst war es sehr einfach hochzuklettern und durch die damals noch offenen Schallöffnungen in den Glockenturm und weiter bis zur oberen Ausstiegsluke zu gelangen. Nun konnten auch die ängstlichen Jungs den Kirchturm besteigen, was aber natürlich nur nach dem täglichen Arbeitsende der Bauarbeiter möglich war.

Solch ein Junge war in der Volksschule unser Klassenprimus W. R. Er wusste darüber Bescheid, daß wir, seine Klassenkameraden H. B., W. K. und ich, uns bei der Besteigung des Kirchturmes bestens auskannten. Eigentlich verachteten wir ihn als Schwächling, aber da er stets eine tolle, große Stablampe besaß, die uns ja nützlich sein konnte, akzeptierten wir eines Tages seinen Wunsch, uns einmal auf den Kirchturm begleiten zu dürfen. Bei dieser Turmbesteigung haben wir ihm dann alles gezeigt, was es im Kirchturm zu sehen gab.

Leider hatte unser Kumpel H. B. dabei mal wieder eine schlechte Idee. Er wollte einmal das Laufwerk der Turmuhr in Augenschein nehmen. Trotz unseres Abratens hatte er damals den Uhrenkasten geöffnet und an einigen Rädern gedreht. Dabei hatte er wohl die Zeiger der Uhren verstellt, was wir anderen aber nicht mitbekommen hatten. Nachdem wir W. R. alles gezeigt hatten, waren wir stolz und unentdeckt wieder vom Turm gestiegen.

Am nächsten Morgen gab es in der Schule ein großes Theater. Pfarrer Johannes Oehm war beim Rektor Zingsheim vorstellig geworden und diesem sehr wütend mitgeteilt, daß am Vortag einige Jungs auf den Kirchturm gestiegen wären und die Turmuhr verstellt hätten. Wer die Jungs waren wusste er nicht, verlangte aber, daß der Rektor es herausfinden solle. Wahrscheinlich sei ein schwerere Schaden am Uhrwerk entstanden und die Täter sollten zum Schadensersatz herangezogen werden. Man könne selbst an der verstellten Uhr nichts tun. Es müsse ein Fachmann aus dem Herstellerwerk nach Oberaußem kommen, um den Schaden zu beseitigen und die Uhrenanlage wieder auf die richtige Zeit einzustellen.

Es beschlich uns ein beklemmendes Gefühl, da wir nicht wußten, wie sich unser Klassenkamerad W. R. verhalten würde. Wir gingen eigentlich fest davon aus, daß er nicht dichthalten würde und uns aus Angst, in Erwartung hoher Reparaturkosten, verraten würde. Aber wir hatten uns geirrt, W. R. zeigte sich als Kumpel und hielt dicht. Es kam nichts über uns heraus.

Irgendwas mußte aber geschehen, um die drohende, teure Uhreninstandsetzung zu vermeiden. Gemeinsam hatten wir dann beraten was machbar sein könnte. Schließlich wurde mein Plan angenommen. Ich hatte vorgeschlagen, am Abend in der Dunkelheit auf den Kirchturm zu steigen und die Uhrenzeiger, von außen an den Zifferblättern, wieder auf die aktuelle Zeit umzustellen. Gesagt getan, wir trafen uns abends gegen neun Uhr an der Kirche. W. R. kam mit seiner starken Stableuchte dazu. Er hatte die Aufgabe, von unten zu beobachten, wie die Zeigerstellungen korrigiert würden und und sollte signalisieren, wenn die Uhr wieder die korrekte Zeit anzeigen würde. W. K. und ich kletterten dann über das Baugerüst bis zu den Schallöffnungen. Leider konnten wir vom Gerüst aus die Uhrenzeiger schlecht erreichen und somit auch nicht verstellen. Aber aufgegeben haben wir nicht. Wir kletterten dann durch die Schallöffnungen in den Turm und stiegen bei fast völliger Dunkelheit, über die lange Holzleiter, herunter zum Uhrenkasten. Im Licht einer kleinen Taschenlampe habe wir uns dann das große Uhrwerk näher angesehen. Etliche Zahnräder, Stahlfedern, Antriebswellen und Stahlseile gaben uns wie es schien, ein unlösbares Rätsel auf. Dann entdeckten wir über dem Uhrwerk eine kleine Uhr, von der es einige Verbindungswellen zum großen Räderwerk gab. Vorsichtig versuchten wir an den verschiedenen Wellen zu drehen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, die richtige Antriebswelle, die zu den Zeigern der Zifferblätter führte, gefunden zu haben. Sie ließ sich relativ leicht bewegen. Als wir daran drehten, rief plötzlich W. R., der die Zeiger im starken Lichtkegel seiner Stablampe beobachtete, zu uns herauf: „Die Zeiger bewegen sich rückwärts“. Sofort änderte wir die Drehrichtung an der Welle und prompt kam von unten der Ruf: „Jetzt drehen sie sich richtig herum“. Nun hatten wir den Dreh gefunden, auf Anweisung von W. R., hatten wir dann rasch die Uhrenzeiger auf die aktuell richtige Zeit umgestellt. Schnellstmöglich verließen W. K. und ich danach über Leitern und Baugerüst den Kirchturm. Am Boden angekommen warfen wir nochmals alle gemeinsam, im Lichtstrahl der Stablampe, einen Blick auf die drei Turmuhren. Es kam uns selbst wie ein Wunder vor, alle drei Zifferblätter zeigten die gleiche, richtige Uhrzeit an und das war auch nach einer halben Stunde noch so.

Wie wir es genau am Uhrenkasten hinbekommen haben, weiß ich heute nicht mehr richtig, aber es hatte funktioniert und wir waren alle stolz darauf.

Am nächsten Tag war Pfarrer Oehm strahlend in die Schule gekommen und hatte glücklich verkündigt, wenn er es ja nicht besser wüsste, würde er sagen, es sei ein Wunder geschehen. Über Nacht wäre die Kirchturmuhr richtig gestellt worden und funktioniere mit Zeigeranzeige und Glockenschlagwerk wieder einwandfrei. Er wisse zwar nicht wer diese Neujustierung durchgeführt habe, sei diesem Unbekannten aber sehr dankbar. Danach war die aufregende Geschichte at Acta gelegt worden.

Noch viele Jahre lang ist die Turmuhr danach ordnungsgemäß gelaufen. Es ist nie herausgekommen wer sie verstellt und wieder neu eingestellt hatte.

 

Bei einer Kirchturmbesteigung über das Baugerüst, hatte Anton Rommerskirchen uns beobachtet. Eilig hatte er den damals neuen Küster Hermann Krähling informiert. Gemeinsam wollten die beiden uns auf frischer Tat ertappen. Wir hatten mal wieder den ängstlichen W. R. dabei. Während des Aufstiegs bekam er Angst, die lange, steil stehende, von der Uhrenkammer zum Glockenstuhl führende Holzleiter zu benutzen. Noch während wir anderen Jungs vom Glockenstuhl aus versuchten W. R. zum Aufstieg zu ermuntern, hatte der herbeigerufene Küster über die Innentreppe die Uhrenkammer erreicht und W. R. gefasst.

Nun saßen H. B., W K., E. v. C. und ich, oben im Turm in der Falle. Sofort sind wir dann im dunklen Turm einige Etagen höher gestiegen und hatten uns versteckt. Meine drei Freunde hatte ich ins Oberste Stockwerk des Turms, dort wo sich die Ausstiegsluke befindet, geschickt und ihnen gesagt, daß sie hinter sich jeweils die stockwerksverbindenden Holzleitern zu sich hochziehen sollten, um dem Küster das Hochsteigen unmöglich zu machen. Ich selbst hatte mich in einer dunklen Ecke auf den Boden gehockt. Da ich damals wie meistens, einen schwarzen Anorak mit Kapuze und eine schwarze Cordhose trug, die Kapuze hatte ich mir zur Tarnung noch über den Kopf gezogen, hoffte ich darauf, vom Küster in der Dunkelheit unentdeckt zu bleiben.

Wie befürchtet, stieg uns Küster Krähling im Turm hinterher. Im Gegensatz zu ihm, kannten wir aber jeden Winkel im dunklen Kirchengemäuer. Als er keinen antraf, reagierte er verärgert und verunsichert. Ich verhielt mich mäuschenstill und mein Plan ging auf. Trotz dem schwachen Licht einer kleinen Taschenlampe, die der Küster mit sich führte, er hatte mich sogar damit angeleuchtet, blieb ich von ihm unentdeckt. Er stieg dann mühsam weiter nach oben. Als er die nächsten Leitern benutzte, machte er dabei starke Geräusche. Da er wegen der von meinen Freunden hochgezogenen Leiter nicht mehr weiterkam, fluchte und schimpfte er sehr laut. Im Schatten seines Lärms nutzte ich dann die Gelegenheit zum schnellen Abstieg, ohne daß er es mitbekam. Als ich glücklich, von ihm unentdeckt, am Fuße der auf das Baugerüst führenden Leiter ankam, dachte ich es geschafft zu haben und in Sicherheit zu sein. Aber ich hatte die Rechnung ohne den unten am Gerüst wartenden Anton Rommerskirchen gemacht. Zu meinem Leidwesen ergriff Anton mich in dem Augenblick, als ich den Erdboden erreicht hatte. Er hielt mich dann so lange fest, bis der wegen seines Misserfolges sehr wütende Küster, zusammen mit W. R. auch wieder unten angekommen war. Da Krähling schlauerweise bei seinem Aufstieg die Zugangstür zur Turmwendeltreppe verschlossen hatte, war für W. R. ja der Fluchtweg versperrt gewesen. Meine anderen Freunde hatte der Küster wegen der fehlenden Leiter nicht fassen können, ich glaube er war sich auch nicht sicher, ob überhaupt noch Jungs oben waren. Als er feststellte, daß Anton Rommerskirchen mich gefasst hatte, verlor er die Beherrschung und schlug wild auf mich ein. Da ich damals dreizehn Jahre alt war, habe ich natürlich versucht mich zu wehren und hatte den Küster gegen ein Schienbein getreten. Das muß sehr schmerzvoll für ihn gewesen sein denn er hatte mich sofort losgelassen. Letztendlich hatte ich gegen die beiden Männer aber keine Chance. Zusammen hatten sie mich mächtig verprügelt. Sie  glaubten, sie hätten das Recht zu meiner Verprügelung gehabt, da sie mich ja gut kannten und ich ja zu dieser Zeit auch Messdiener war. Dann hatten sie mich noch zum Pastor Oehm geschleppt. Dieser hatte aber sofort erkannt, daß in Anbetracht meines Vergehens, diese Prügelstrafe weit überzogen war und er versuchte mich zu beruhigen. Er kannte ja meine Eltern besonders gut und wusste um deren Reaktion, wenn sie von dieser heftigen Verprügelung durch den Küster und Anton Rommerskirchen, etwas erfahren hätten. Pfarrer Oehm wusste aber auch, daß ich selbst zu Hause nichts davon erzählen würde. Lange hatte er dann ausschließlich nur mit mir gesprochen und sich sogar für die harte Strafe entschuldigt. Übrigens habe ich meine drei beteiligten Freunde nie verraten und W. R. blieb auch straffrei. Damit war die Sache für Herrn Oehm, zumal an der Kirche ja keinerlei Schaden entstanden war, erledigt.

Für mich war das aber nicht so. Verziehen habe ich dem Küster die unbeherrschte Prügelstrafe bis heute nicht.

Anton Rommerskirchen hatte sein Eingreifen schnell bereut. Wir ließen ihm, bis zum Ende unserer Volksschulzeit, keine Ruhe mehr und haben ihm nach dem Vorfall oft recht derbe Streiche gespielt. Er hat uns nie mehr erwischt und und konnte uns auch nie irgend etwas anhaben.

 

Bei einem weiteren, besonderen Erlebnis an der Kirche, spielte leider H. B. auch die unrühmliche Hauptrolle. Wir hatten wieder mal die Kirche von außen über die Blitzableiteranlage und das Kirchendach bis zur obersten Turmklappe bestiegen. Auf dem Rückweg verschloß H. B., gegen den Willen der anderen, die Eisentür, die vom Turm zum Dachboden des Mittelschiffs führt, mit einem Stück Draht. Dann öffnete er einen, der in jeder Gewölbespitze des Mittelschiffes vorhandenen, runden Deckendurchlässe, um nach unten in den Kirchenraum zu sehen. Dabei entdeckte er den Küster Hermann Krähling. Plötzlich hatte H. B. ein kleines Holzstück in der Hand. Ehe wir anderen ihn davon abhalten konnten, ließ er es durch die Öffnung, gezielt in Richtung des unten im Hauptgang gehenden Küsters fallen. Zum Glück hatte das Holzstück Herrn Krähling knapp verfehlt. Das ganze Verhalten von H. B. hatte uns überhaupt nicht gefallen. Wütend und voller Angst erwischt zu werden, sind wir daraufhin eiligst von der Kirche geklettert und in ein Versteck auf der Ostkippe geflohen.

Erst einige Stunden nach dem abscheulichen Vorfall, hatten wir das Versteck verlassen und waren sehr betröppelt, mit der Hoffnung unerkannt zu bleiben, nach Hause geschlichen.

Wie wir später erfuhren, war Hermann Krähling nach dem ersten Schrecken sofort über die im unteren Turm befindliche Wendeltreppe nach oben bis in die Uhrenkammer gestürmt. Er wollte natürlich feststellen, wer sich im Dachboden des Kirchenhauptschiffes befand und das Holzstück herunter geworfen hatte. Im Uhrenraum entdeckte er dann, daß die Metalltür zum Dachboden versperrt war. Wutentbrannt war er nun die Wendeltreppe herunter gestürmt, um uns unten abzufangen. Er mußte dann aber zur Kenntnis nehmen, daß wir ihm inzwischen, unerkannt entkommen und über alle Berge verschwunden waren.

Von einer Frau hatte er aber erfahren, daß vier Jungen von der Kirche heruntergeklettert und weggelaufen waren. Sie hatte uns nicht erkannt, ihm aber eine grobe Beschreibung der vermutliche Täter gegeben.

Am nächsten Tag war Küster Krähling dann in die Schule gekommen und hatte sich beim Rektor Zingsheim heftig beklagt. Das eigentlich recht kleine Holzstück, trug er in Zeitungspapier gewickelt bei sich. Rektor Zingsheim ging gemeinsam mit ihm durch die Klassen, um die vier Jungs herauszufinden, die aufgrund der Täterbeschreibung für die frefelhafte Tat in Frage kamen. Natürlich waren die beiden auch bei uns in der Klasse. Noch voller Ärger zeigte der Küster das Holzstück und sagte: „dieses Stück Holz hat einer von euch gemeinen Kerlen, von der Kirchendecke aus, durch eine der Deckenöffnungen fallen lassen und versucht mich zu treffen und zu verletzen“. Er wisse zwar nicht genau wer es war aber er könne es sich schon fast denken und wir könnten Gift darauf nehmen, daß er es herausbekommen würde.

Zu unserem Glück konnte er keinen von uns identifizieren und muste unbefriedigt die Schule wieder verlassen. Das Stück Holz nahm er wieder mit, um es wie er sagte, als Tatwaffe und Beweisstück für die Polizei zu sichern.

Natürlich hatte er auch wegen der erforderlich werdenden Öffnungsarbeiten an der versperrten Tür zum Dachboden mit erheblichen Kosten gedroht, die auf die Täter zukommen würden.

Da wir alle nichts verraten hatten, blieb die Suche nach den Übeltätern erfolglos.

Um die versperrte Türe zu öffnen, mußte ein Handwerker, mittels einer langen Leiter, von außen durch die Dachgaube des Mittelschiffes in den Dachboden einsteigen.

Später wurde die alte Metalltür ausgebaut und durch eine neue, mittels Schloß verschließbare Metalltür ersetzt.

Auch die Dachgaubenklappen des Mittelschiffes wurden so umgestaltet, daß sie seit dem damaligen Vorfall von innen her verschließbar sind. Die beiden Dachgauben der Kirchenseitenschiffe erhielten ebenfalls neue Absperrtüren, die seit dem von außen mittels Vorhängeschlössern gesichert werden.

Da später auch die komplette Blitzschutzanlage und die Dachentwässerung mit den Regenfallrohren bei Instandsetzungsarbeiten an der Kirche erneuert wurden, konnte die Kirche auf dem von uns stets benutzten Wege nicht mehr bestiegen werden. Damit war die Kirche für die jugendlichen Kletterkünstler nicht mehr attraktiv, was sicherlich zur großen Erleichterung bei den Pfarrherren geführt hat.

 

Eine der Hauptaktivitäten im Bereich der Pfarrkirche, war die Veranstaltung von Radrennen rund um die Kirche.  An eines dieser Radrennen habe ich keine besonders guten Erinnerungen. Ich hatte mir als zwölfjähriger Junge, unter der Mithilfe meines Onkels Ernst, aus dem alten Fahrradrahmen meiner Mutter und aus Teilen weiterer, alter Fahrräder, ein funktionierendes Rad zusammengebaut, auf das ich sehr stolz war.  Nun konnte ich an den Fahrradrennen um die Oberaußemer Pfarrkirche teilnehmen. Es ging dabei immer im Uhrzeigersinn um die Kirche herum.

Eines Nachmittags, als die Rennerei zu Ende war, fuhr ich unglücklicher weise noch einmal links um die Kirche herum, also der abgesprochenen Fahrtrichtung entgegen. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß noch irgendjemand um die Kirche fahren würde. Aber der Zufall wollte es, daß mein Klassenkamerad H. P. C. mit seinem tollen neuen Sportfahrrad an die Kirche gekommen war, um uns anderen stolz das neue Rad zu präsentieren. Es war stahlblau, bestach mit viel Chrom und war bereits mit einer Torpedo-Dreigang-Nabengangschaltung ausgestattet. Obwohl er keinen angetroffen hatte, wollte er eine Runde um die Kirche drehen und dann wieder nach Hause fahren. Plötzlich war ich ihm mit meinem alten Dahmenrad entgegen gekommen. Keiner von uns beiden konnte ausweichen und wir prallten heftig frontal mit unseren Rädern zusammen. Beide stürzten wir zu Boden, waren aber zum Glück unverletzt geblieben. Als ich mich wieder aufgerappelt hatte stellte ich fest, daß mein Rad eine erhebliche Beschädigung davongetragen hatte. Die Vorderradgabel war durch die Wucht des Aufpralles so stark nach hinten verbogen, daß ein Lenken nicht mehr möglich war. Das neue Rad von H. P. C. war dagegen völlig heil geblieben, so daß er damit weiterfahren konnte. Über eine Schuldfrage und eventuelle Reparaturkosten haben wir beide kein Wort verloren, es war unglücklicherweise nun halt mal passiert. Ich schleppte dann mein unfahrbares Rad nach Hause. Von dem Zusammenprall habe ich nichts erzählt. In den nächsten Tagen habe ich dann in unserem Stall versucht die Vorderradgabel wieder zu richten. Mit Hilfe eines schweren Hammers hatte ich es nach einiger Zeit soweit geschafft, daß sich die Vorderradgabel mit dem Vorderrad wieder unter dem Fahrradrahmen hindurchbewegen ließ und man wieder mit dem Rad fahren konnte. Über eine Gefahr, die Vordergabel könnte so beschädigt sein, daß es zu einem Materialbruch und einem damit verbundenen Unfall kommen konnte, habe ich damals in keinster Weise nachgedacht. Die Unfallschäden blieben aber auch nach den Richtarbeiten an der verbogenen Radgabel für jedermann gut sichtbar, was mich aber nicht gestört hat. In diesem teilreparierten Zustand habe ich noch zwei Jahre das alte Rad benutzt. Erst als ich in die Lehre gegangen bin, bekam ich für den Weg zum Lehrbetrieb ein neues, sehr stabiles Herrenfahrrad. Das alte Rad meiner Mutter wanderte danach zum Altmetallhändler Lorbach.

 

In den 1950ger Jahren gab es in Oberaußem noch häufige Spatzenplagen. Besonders im Umfeld der Kirche gab es gewaltige Mengen dieser Vögel, die stets große Schäden, vor allem in den Gärten der Oberaußemer angerichtet hatten. Die Gemeindevertreter hatten damals die Bevölkerung aufgefordert, bei der Bekämpfung und einer Einschränkung der Plagen aktiv mitzuhelfen. Für jeden toten Spatzenvogel, den man bei Rektor Steinhauer ablieferte, gab es eine Geldprämie von fünf Pfennigen. Ich erinnere mich noch gut daran, dass damals einige Oberaußemer mit Luftgewehren an der Kirche große Mengen Spatzen abgeschossen haben, die wir Kinder dann einsammelten und zum Herrn Steinhauer brachten. Die Abschussprämien hatten die Männer aber selbst einkassiert. Da nach dem II. Weltkrieg, den Deutschen damals noch generell der Besitz und das Führen von Schusswaffen aller Art, durch die Siegermächte bei Strafe verboten war, bedurfte es für den Einsatz von luftbetriebenen Handwaffen bei der Spatzenplage einer Sondergenehmigung.

 

Später wurde mittels fest am Kirchenmauerwerk montierter, schwerer Eisentore und einer stabilen Zaunanlage dafür gesorgt, daß der rechte seitliche und der hintere Kirchenbereich, mit Zugang zum Heizungskeller und zur Marienkapelle, nicht mehr ständig öffentlich zugängig sind. Damit fanden auch die häufigen  Radrennen um die Kirche, das Besteigen der hohen Bäume und jegliche anderen Kinderaktivitäten an und um die Kirche herum ein Ende.

 

Ortsfriseur Hensens Fränz

von Ulrich Reimann

 

>> Hensens Fränz betrieb gemeinsam mit seiner Ehefrau Margarete, in seinem Haus in der Fortunastraße, einen kleinen Friseursalon mit zwei Räumen, getrennt nach Damen und Herren. Er bediente die männliche Kundschaft, während seine Frau für die Damenwelt sorgte. Man brauchte bei ihm zwar keine Terminvereinbarung, was aber meistens längere Wartezeiten für seine zahlreiche Kundschaft bedeutete. Da Fränz ein sehr kommunikativer Mensch war, liebte er es, wenn viele Kunden in seinem kleinen Herrensalon anwesend waren, auch wenn dabei nicht alle einen Sitzplatz fanden. Während er Haare schnitt oder rasierte, lief fast immer gleichzeitig eine Gesprächsrunde, wobei das Gesprächsthema von der Art und den Interessen seiner gerade anwesenden Kundschaft bestimmt wurde. Fränz war dabei sehr flexibel, er wusste eigentlich fast immer über alles, was sich im Ort abspielte, genauestens Bescheid, wobei es keine Rolle spielte, ob es sich um private familiäre Dinge, Berufs- und Vereinsleben, kirchliche, sportliche oder sonstige Themen aller Art gehandelt hat. Für seine Arbeit nahm er sich stets viel Zeit und er hatte auch meistens einen Lösungsvorschlag für die diskutierten Fragen parat.

Zu meinem Leidwesen war er kein Haarvirtuose und jeder Betrachter konnte schnell erkennen, bei welchem Friseur man sich die Haare schneiden ließ. Aber trotz allem ging ich eigentlich recht gerne zu ihm, auch weil man immer auf dem neuesten Wissensstand um das Ortsgeschehen war, wenn man seinen Salon verließ. <<