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Der erste Kindergarten in Oberaußem

Ausarbeitung von Ulrich Reimann, 2019


Im Jahre 1869 kaufte die Gemeinde Oberaußem, vom damaligen Lehrer Burbach ein fertiges, neues Schulhaus. Es lag an der Kirchstraße, neben der am 26. Mai 1881 eingeweihten neuen Pfarrkirche St. Vinzentius. Das Gebäude umfasste drei Klassenräume und zwei Wohnungen, darunter auch die Wohnung des Hauptlehrers, welche etwas abgesondert lag.

Das Gebäude diente ausschließlich schulischen Zwecken. Wegen Platzmangel zog die Schule dann 1923 in ein neues, größeres Schulhaus an der Bergheimerstraße.

Im Volksmund wurde das freigewordene alte Schulgebäude, von der Zeit an als “De ahl Schull“ bezeichnet.

In den Räumlichkeiten der freigewordenen alten Schule, richtete die Gemeinde ab 1925, einen von Schwestern des Klosters Bethlehem geführten, Kindergarten „Die Overoßemer Kinder-Verwahranstalt“,  sowie einige Privatwohnungen ein.

Der Kindergarten entwickelte sich gut und war recht beliebt bei der Ortsbevölkerung.

 

Die im Januar 1933 an die Macht gekommenen Nationalsozialisten, verboten dann 1937 die Arbeit der katholischen Ordensschwestern in den Kindergärten von Oberaußem und Fortuna, obwohl sie die guten Leistungen der Schwestern anerkannten.

Auf Vorschlag aus der Partei, fasste Ortsbürgermeister Karl Hensen 1937 fol­gende Entschließung:

“Der Bürgermeister bestimmt, daß der Kindergarten in Oberaußem, der bis jetzt von Schwestern des katho­lischen Klosters Bethlehem betreut wurde, nunmehr von der “NSV“ betreut und 50 RM Zuschuß monatlich von der Gemeinde gezahlt wird.“

Etwa ab dem Jahr 1938 betrieb die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Kindergärten, die in Konkurrenz zu vergleichbaren kirchlichen Einrichtungen traten.

Partei-Mitglieder brachten ihre Kinder von da an nur noch in die neuen NSV-Kindergärten mit ihrem Hitlerkult-Motto: "Händchen falten, Köpfchen senken - immer an den Führer denken. Er gibt euch euer täglich Brot und rettet euch aus aller Not."


So blieb es zum Leidwesen der katholischen Pfarrgemeinde, bis zum Kriegsende auch in Oberaußem, bis der NS-Spuk durch die Amerikanischen Truppen beendet worden war.

 

Christian Kämmerling schreibt dazu:

„ […] Der 23. April 1945 war ein Freudentag für die Gemeinde. Der Pfarrer erhielt vom Kommandanten die Erlaubnis, einen von der Kirche betreuten Kindergarten zu eröffnen. Schwester Oberin vom Kloster Bethlehem gab hierzu Schwe­ster Annesia frei, den Kindergarten zu leiten. Viele Hän­de waren tätig, den Raum in der alten Schule an der Kirchstraße, der zu militärischen Zwecken benutzt worden war, zu säubern und zu schmücken. In feierlichem Zuge wur­de bereits am Nachmittag das Kreuz aus der Notkirche zum Kindergarten gebracht und dort aufgehängt. Ansprachen, Lieder und Gedichte unterstrichen die Bedeutung des Tages. Schwester Annesia ging mit viel froher Hingabe und Begei­sterung an die Arbeit und leitete diesen Kindergarten bis 30. Mai 1947. Krankheit zwang sie, ihren Posten aufzugeben. Ihre Nachfolgerin wurde Schwester Agnella, die frü­her bereits einmal in unserem Kindergarten tätig gewesen war […]“

 

Nachfolgend ein Auszug aus der Autobiographie von Ulrich Reimann

 

 „[…] Kindergarten an der Kirchstraße

 

Bereits mit circa drei Jahren mußte ich in den Kindergarten gehen. Der war in der alten Oberaußemer Volksschule an der Kirchstraße untergebracht. Die sogenannte „Overoßemer Kinder-Verwahranstalt en de ahl Schull“, wurde seit dem Ende der Nazizeit wieder von einer Ordensschwester aus dem Kloster Bethle­hem geleitet. Zu meiner Zeit war es die Schwester Agnella.

Schwester Agnella war diktatorisch, streng und ich glaube aus heutiger Sicht, auch etwas ungerecht. Kinder von wohlhabenden, einflussreichen Eltern, etwa die Bauernkinder, die ihr ab und zu ein Päckchen mitbrachten oder deren Eltern dem Kindergarten oder der Kirche etwas zukommen ließen, wurden von ihr bevorzugt und besser behandelt. Deshalb war sie bei vielen Kindern und Eltern unbeliebt.

Zu ihrer Ehrenrettung muß hier aber festgehalten werden, dass sie durch ihre, von vielen Ortsbewohnern missbilligte Handlungsweise, ausschließlich versuchte, Spenden für den Kindergarten und für die von ihr auch betreute Ausschmückung der Oberaußemer Pfarrkirche zu erhalten.

Ich mochte Schwester Agnella absolut nicht und bin deswegen, wenn sich eine Möglichkeit bot, auch des öffteren ausgebüchst. Dies war meist der Fall, wenn wir bei schönem Wetter draußen in den Sandkästen spielen durften.

Ich kann mich noch gut an den Lattenzaun um das Außengelände erinnern, der an einigen Stellen wegen losen Latten die Möglichkeit zur Flucht bot.

Bereits als kleiner Junge liebte ich meine Freiheit und spielte am liebsten nur mit meinen Kindergartenfreunden, Schäfers Hannes, Lurems Wellem und den Kindern, die in der alten Schule wohnten. Am liebsten spielten wir auf der Oberaußemer Anlange „de Kalfheck“, sowie auf dem anschließenden Brachgelände und auf dem Rott.

Im Kindergarten erhielten wir in den ersten Jahren nach dem Krieg, eine von der Gemeinde finanzierte Mittagsverpflegung.

Wegen der Mangelerscheinungen beim Gesundheitszustand vieler Kinder, mußten wir damals alle im Kindergarten, jeden Morgen einen großen Löffel voller Lebertran schlucken, der einfach widerlich schmeckte. Den penetranten Lebertrangeschmack habe ich noch heute sofort in Erinnerung, wenn ich nur daran denke.

Für alle Kinder war es eine große Freude, als der Kindergarten etwa 1949, ein kleines Karussell mit Handantrieb erhielt. Direkt an einem Fenster, neben der Eingangstür wurde es aufgestellt. Von den Kindern hatte es schnell einen Spitznamen bekommen, „et Kotzkümpche“. Der Sitzkorb des Karussells, war mittels Kugellagern, drehbar an der fest stehenden Mittelachse mit dem Handrad, montiert. Die Kinder die darin Platz nahmen, brachten den Sitzkorb durch Ziehen am Handrad in eine Rotation. Je kräftiger und schneller gezogen wurde, um so schneller drehte sich der Sitzkorb um die Mittelachse. Vielen Kindern ist es bei einer zu schnellen Karussellfahrt schlecht geworden und sie haben sich dabei erbrochen.

Ich hatte bei dieser Art der Karussellfahrt stets das Gefühl, alles um mich drehe sich im Kreis und es ginge dabei rauf und runter.

Nach kurzer Negativerfahrung mit den Auswirkungen, hat Schwester Agnella die Benutzung des Karussells schnell verboten.

Natürlich wurde damals auch fast in jedem Jahr ein Gruppenfoto der Kindergartenkinder mit ihren Betreuerinnen gemacht.

Außer einer Betreuerin, ich glaube sie hieß Tante Resi, mochte ich keinen vom Betreuungspersonal.

Die Schwester Agnella war mir ein Graus, vor allem weil sie ständig an mir herum zerrte, mich an den Ohren zog und dauernd mit mir schimpfte. Warum sie mich so behandelt hat weis ich nicht. Ich glaube heute, daß es damit zusammen hing, daß mein Großvater in der NS-Zeit  Parteifunktionär gewesen ist. Die NSDAP-Ortsleitung hatte den Bethlehemer Ordensschwestern, 1937 die Leitung des Kindergartens entzogen.

Da ich jede mir gebotene Gelegenheit zur Flucht aus dem Kindergarten genutzt habe, gab es bei meinen Eltern ein Einsehen. Ich mußte nicht mehr regelmäßig in den Kindergarten gehen. Das war für mich wie eine Erlösung […]“

 

Christian Kämmerling schreibt weiter:

„[…] 1952 genügte der Raum in der alten Schule an der Kirchstraße in keiner Wei­se mehr den Anforderungen eines geordneten Kindergartenbetriebes. Die Gemeinde, die diesen Raum unentgeltlich zur Verfügung stellte, konnte und wollte auch nichts mehr in dieses alte Gebäude investieren, das wohl seine Ge­burtsstunde in der Zeit um 1845 hatte und 1951 noch einmal instand gesetzt worden war.

So entschloß sich der Gemeinderat bereits im September 1952, einen vom Amtsbauamt ausgearbeiteten Plan zum Neubau eines Kindergartens zur Ausführung zu bringen. Das Bau­gelände auf der früher so genannten “Kalfheck“, unterhalb des Friedhofes (hier hatte auch das erste Schulhaus gestanden), war vorhanden. Das Bauobjekt sollte nach dem Willen des Gemeinderates zügig ausgeführt werden, damit der Kindergarten bald, wenn auch vorerst nur notdürf­tig, in das neue Gebäude verlegt werden könne. Denn es bestanden im Schulbereich erhebliche Raumnöte. Die land­wirtschaftliche Mädchen - Berufsschule, die in der Schule an der Bergheimer Straße untergebracht war, mußte unbedingt dort räumen, damit Platz wurde für die Volksschulkinder. Diese Mädchen-Berufsschule sollte dann in den freigewordenen Kindergartenraum umziehen, falls bis dahin keine ande­re Unterbringungsmöglichkeit für diese Mädchen gefunden war.

1955 wurde dann die „Ahl Schull“ kindergartenfrei.

Es folgte noch eine Nutzung des großen Raumes im Erdgeschoß durch den Radfahrverein Oberaußem, der hier eine Zeit lang, unter Wilhelm Weiss sen., seine wöchentlichen Trainingseinheiten absolvierte.

Erst 1965, nachdem auch alle Mieterfamilien ihre Wohnungen geräumt hatten, wurden alle Gebäude der “ahl Schull“ von Oberaußem abgerissen.

Das Grundstück fiel an die Kirchengemeinde. Heute befinden sich an dieser Stelle die Wohnhäuser des Pfarrers, des Küsters (Kaplanei), das Pfarrbüro und das Pfarrsälchen […]“

 

 

Quellen:

Christian Kämmerling, 100 Jahre Pfarrkirche St. Vinzentius Oberaußem

Wikepedia: NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt)

Autobiographie, U. Reimann

Privatfotos Oberaußemer Bürger

Neue Texte, Fotos, Layout: U. Reimann