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Erinnerungen an die Zeit des II. Welt-Krieges in Oberaußem

Erinnerungen von Sofie Kamp.

Aufgeschrieben von Ulrich Reimann im August 2006.

 

Sofie Kamp geb. Wintz,

geboren am 8. Februar 1935 in Oberaußem, in der einstigen Mittelstraße, heute „In der Mitte“, wo sie in ihrem inzwischen modernisierten Elternhaus, bis zu ihrem Tode 2015 lebte.

Sofie Kamp war die Ehefrau von Mathias Kamp aus Oberaußem, der mit seinen beiden Brüdern Jakob und Willi so manch ein neues Haus im Ort verklinkert hat, aber leider 1992 viel zu früh verstorben ist.

Die Eltern von Sofie Kamp waren Heinrich und Ursula Wintz geb. Conrads aus Oberaußem.

Ihr Vater Heinrich Wintz, hatte vor dem Krieg bei einem Arbeitsunfall in der Grube Fortuna seinen rechten Arm verloren. Deshalb war er nicht wehrtauglich und auch kein Soldat gewesen. Wegen seiner sozialen und hilfsbereiten Lebenseinstellung war er in Oberaußem bei den meisten Bürgern sehr beliebt, was aber nicht für die örtlichen Anhänger der damaligen nationalsozialistischen Machthaber galt. So erinnert sich Sofie an Gegebenheiten, daß ortsansässige Parteifanatiker ihrem Vater mehrfach mit harter Bestrafung, einmal sogar mit Erschießung, gedroht hatten, wenn er nicht seine hilfsbereite Einstellung gegenüber damals in Oberaußem und Fortuna stationierten, ausländischen Kriegsgefangenen (Russenlager befand sich am Ortsausgang von Oberaußem, gegenüber heutiger Abts-Acker-Straße, ehemaliges Kraftwerksgelände) gründlich ändere. Heinrich Wintz hatte sich aber nicht einschüchtern lassen und geholfen, wo und wie es für ihn möglich war.

Nicht nur Spielzeug stellten Zwangsarbeiter her. Richard Wagner, gemalt von einem unbekannten russischen Zwangsarbeiter. Foto: Hedi Schumann

Die Gefangenen hatten bei ihren Arbeitseinsätzen kleinere Kontakte zur hiesigen Bevölkerung aufgebaut. So war es des Öfteren zu beobachten, daß sie aus Abfallmaterialien, aus Wurzelmaterial und Holz selbst hergestellte, kleine Spielzeuge gegen geringe Mengen Lebensmittel eintauschen konnten, was natürlich einigen örtlichen Parteileuten ein Dorn im Auge war. Seiner Tochter Sofie hatte Heinrich Wintz aus Sorge wegen den gegen ihn ausgesprochenen Drohungen und dem bestehenden öffentlichen Verbot Kontakt zu den Gefangenen aufzunehmen untersagt, sich in der Nähe der Gefangen aufzuhalten. Zum Glück hatten die Fanatiker ihre Drohungen nicht in die Tat umgesetzt, scheinbar hatten sie doch etwas Respekt vor der Beliebtheit von Heinrich Wintz und der damit verbundenen Solidarität in großen Teilen der Oberaußemer Bevölkerung zu ihm. Seine Beliebtheit galt auch für den Kreis der Arbeitskollegen. So war der als Weichensteller auf der damaligen Fortuna-Ostkippe beschäftigte Heinrich Wintz, jahrelang Mitglied des Betriebsrates der Grube Fortuna. Er war eine Zeit lang nach dem Krieg Vorsitzender des Oberaußemer Fußballklubs. Zusammen mit Lambert Schäfer und Toni Schäfer hatte er maßgeblichen Anteil am Bau des alten Oberaußemer Sportplatzes auf dem Tonnenberg.

 

An die Kriegszeit, vor allem aber an die letzten Kriegsmonate erinnert sich Sofie Kamp recht gut, sie berichtet:

Eingeschult wurde ich 1941, mitten im Krieg, in die katholische Volksschule von Oberaußem an der Bergheimerstraße. In den Kriegsjahren wurden die Klassenräume der Schule mit alten Kanonenöfen beheizt. Die Öfen standen zum Teil mitten in den Räumen. Befeuert wurden die Öfen mit Briketts, die die Schüler von zu Hause mitbrachten. Oft hatten diese Öfen dermaßen gequalmt, daß kein Unterricht möglich war. Manchmal war es den Schülern sogar gelungen, vorangekündigte Diktate und Klassenarbeiten, durch heimliche Einfüllung von übel riechenden Flüssigkeiten in die an den Öfen angebrachten Luftbefeuchtungsblechdosen, noch zu verhindern. Auch durch die allgemeinen Kriegswirren war so manche Unterrichtsstunde ausgefallen. Aus diesen Gründen musste Sofies Schulklasse als erste Oberaußemer Abschlussklasse nach dem Krieg, ein neuntes Schuljahr absolvieren und wurde erst 1950 aus der Schule entlassen. Diese Themen kommen immer wieder bei den inzwischen schon mehrfach stattgefundenen Klassentreffen zur Sprache.

Zu einem besonderen Kriegsereignis in Oberaußem berichtet Sofie wie folgt: Ich war im dritten Schuljahr, als im Februar 1944 ein deutsches Jagdflugzeug einen Schornstein von Werk 2 der Kraftwerke Fortuna gerammt hatte. Bei dieser Kollision hatte es einen lauten Knall und eine gewaltige Rauchwolke gegeben. Wir Kinder waren zur Absturzstelle gegangen. Der Pilot war ums Leben gekommen. Vom abgestürzten Flugzeug waren nur noch Trümmerteile übriggeblieben. Der zerstörte Schornstein wurde schnell wieder aufgebaut.

 

Weihnachten 1942 im Elternhaus von Sofie Kamp. Vorne von links: Mutter Ursula Wintz, Sofie Kamp, Vater Heinrich Wintz. Hinten von links: Elisabeth Rauwald (spätere Buffal), unbekannter deutscher einquartierter Soldat, Klara Wintz (Schwester von Heinrich Wintz), unbekannter deutscher einquartierter Soldat, Katharina Munz (spätere Geiken)

 

Auf dem Schulhof fand in den letzten Kriegsmonaten die Ausbildung der Männer des Oberaußemer Volkssturmes statt.

In der Schule gab es die sogenannte Schulspeisung der Schulkinder. Das Essen dafür wurde von Frau Schultes, der Frau des Schulhausmeisters zubereitet.

Besondere Erinnerungen hat Sofie an die Zeit von Mitte 1944 bis Ende Februar 1945. Während diesen, für Oberaußem letzten Kriegsmonaten, hatte die deutsche Wehrmacht in ihrem Elternhaus in der Mittelstraße eine Kommandozentrale eingerichtet. Es war eine große Anzahl von Telefonleitungen als Sprechverbindungen zwischen unserem Haus und den übrigen Wehrmachtsstellungen in Oberaußem verlegt worden. Zwischen unserem Haus und dem Kloster Bethlehem, wo ebenfalls eine deutsche Kommandostelle mit Flakbatterie eingerichtet war, fuhr damals fast ständig ein Meldesoldat mit einem Motorrad hin und her.

Mein Vater hatte in dieser Zeit große Angst vor Luftangriffen. Er vertrat die Meinung, daß man die vielen militärischen Telefonleitungen, die zu unserem Haus führten wohl gut aus der Luft erkennen könne und dies wäre bestimmt ein Grund für einen direkten, gezielten Luftangriff der Alliierten. So sagte er des Öfteren zu meiner Mutter: „Du wirst es erleben, unser Haus bleibt bestimmt nicht mehr lange stehen, solche aus der Luft als Wehrmachtsstellung gut erkennbare Ziele werden zuerst bombardiert und vernichtet.“ Er sollte aber zu unserem Glück nur zum Teil Recht behalten. Im Februar 1945 traf eine Fliegerbombe die Nebengebäude unseres Hauses und verursachte starke Zerstörungen. Das Wohnhaus war zwar auch betroffen, blieb aber außer der Zerstörung aller Fensterscheiben im Wesentlichen unbeschädigt. Sofie berichtet, daß währen der Bombardierung ihres Anwesens einige deutsche Soldaten nach einer kleinen Feier im Keller ihres Hauses geschlafen hatten. Den Luftangriff hatten sie aber zum Glück unbeschadet überstanden.

Nach dem Bombentreffer in die Nebengebäude gab es neben unserem Haus einen großen, recht tiefen Bombentrichter. In diese Grube wurde später von vielen Leuten des Ortes alles möglich hineingeworfen. So fand man darin neben unbrauchbarem Schutt und Schrott auch einige alte Fahrräder sowie etliche alte Radios „Volksempfänger“, die sogar noch funktionstüchtig waren. Direkt nach dem Ende des Krieges ließ Familie Wintz diese inzwischen zur Müllabladestelle verkommene Grube zuschütten.

Als besonders tragisch erlebte Sofie den 1. Adventsonntag 1944 (3.12.1944). Mit ihrem Großvater zusammen war sie in der Kirche gewesen. Die 2. heilige Messe war gerade zu Ende und sie waren gemeinsam mit Herrn Adam Bock, von der Bahnstraße, auf dem Nachhauseweg. Kurz bevor sie zu Hause waren gab es Fliegeralarm. Ihr Großvater hatte darauf dem Herrn Bock geraten, mit ihnen zusammen in den eigenen Luftschutzbunker zu gehen. Der Bunkereingang befand sich bei Sofies Großeltern in der Mittelstraße (heute Wohnhaus Peter Lokum) im Garten. Im Nachbargarten der Familie Giesen hatte der Bunker einen zweiten Zugang. Der Herr Bock hatte das Angebot aber lachend abgelehnt, weil er wie er damals sagte ja gleich zu Hause sei und dann in den Bunker an der Bahn gehen wolle. Sofie und ihr Großvater erreichten gerade noch rechtzeitig und unbeschadet den heimischen Bunker bevor die ersten Bomben fielen. Der Adam Bock hatte leider weniger Glück. Er war kurz nach der Trennung  von den beiden, durch die Bombentreffer an der Bahn, ums Leben gekommen.

Ein für Sofie ebenfalls unvergessliches Erlebnis aus dieser, für die notleidende Bevölkerung schwierigen Zeit, ist im Zusammenhang mit dem Absturz eines alliierten Bombers in der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1945 zu sehen. Ein wahrscheinlich von der deutschen Flugabwehr abgeschossener alliierter schwerer Bomber, war in dieser Nacht mit ohrenbetäubendem Getöse in den Garten der Familie Brüggen von der Kirchstrasse abgestürzt. Offenbar hatte es aber einer der Besatzungsmitglieder des wohl aus Richtung Köln kommenden Flugzeuges geschafft, rechtzeitig mit dem Fallschirm abzuspringen und sich zu retten. Er war auf dem Gelände der zur Fortunagrube gehörenden Ostkippe gelandet. Heinrich Wintz, der Vater von Sofie Kamp, der in dieser Nacht auf der Kippe als Weichensteller arbeitete, hatte den Absprung und die Landung des Soldaten mitbekommen und beobachtet, wo dieser seinen Fallschirm und seine Schwimmweste versteckte, bevor er davongeschlichen war. Erst nach einer gewissen Zeit hatte sich Heinrich Wintz an das Versteck herangetraut. Der Soldat war verschwunden. Den Fallschirm und die Weste hat Sofies Vater dann seinerseits in einem sicheren, neuen Versteck untergebracht. Erst am nächsten Tag hat er dann die Sachen aus diesem Versteck geholt und mit nach Hause genommen. In dieser Zeit der materiellen Not, entstanden dann aus der strapazierfähigen Fallschirmseide selbstgenähte Bekleidungsstücke für die ganze Familie Wintz. Sofie selbst erhielt davon eine Bluse, die von ihr noch nach Kriegsende getragen wurden und die schier unverschleißbar war. Zum Schicksal des abgesprungenen alliierten Soldaten weis Sofie nur zu berichten, daß dieser in der Nähe des Gutes Asperschlag gefangengenommen worden war. Vom damaligen hiesigen Dorfpolizisten Esser war er in der Gefängniszelle, im Keller der alten Oberaußemer Volksschule an der Bergheimerstraße, eine Nacht verwahrt worden. Am nächsten Tag war er dann von der Gestapo abgeholt worden. Man hat nichts mehr über sein weiteres Schicksal im Ort erfahren.

Anfang März 1945 war mit dem Einzug der Amerikaner in unseren Ort, für Oberaußem der Krieg im Wesentlichen zu Ende. Die deutschen Wehmachtsangehörigen und auch einige der Nazi-Parteibonzen unseres Ortes, hatten sich kurz vorher in Richtung Köln zurückgezogen oder waren geflüchtet. Einige Fanatiker darunter blutjunge Soldaten waren aber hier geblieben und hatten versucht die aus Richtung Bergheim und dem Bethlehemer Wald anrückenden Amerikaner mit ihren wenigen Waffen noch aufzuhalten. Sie wollten bis zum Schluß kämpfen. Sofie erinnert sich an ein Gespräch ihres Vaters mit einem dieser jungen Soldaten. Heinrich Wintz wollte ihn davon abbringen den sinnlos gewordenen Kampf gegen die übermächtigen Amerikaner weiterzuführen. Der junge Mann hatte den Rat empört zurückgewiesen, ich kämpfe weiter bis zum Schluß. Kurze Zeit später hatte Sofies Vater ihn wiedergesehen. Er war durch einen Kopfschuss ums Leben gekommen und hat auf der Wiese Berens gelegen. Neben diesem jungen Fanatiker waren in wenigen Stunden noch recht zahlreiche junge Soldaten beim kurzen Kampf um unseren Ort gefallen. Die Amerikaner waren mit Panzern eingerückt, die später im Schlundweg abgestellt waren. Viele amerikanische Militärfahrzeuge waren nach Beendigung der Kampfhandlungen um Oberaußem, auch auf den an die Mittelstraße grenzenden Wiesen (heute Spiel- und Parkplatz hinter unserem Bürgerhaus) des Berenshofes abgestellt. Die Amerikaner hatten  alle im Ort noch anwesenden deutschen männlichen Personen, registriert und ca. 120 von ihnen abtransportiert. Viele der abtransportierten Männer waren erst Monate später wieder nach Hause zurückgekehrt.

Ihr Wohnhaus mußte die Familie Wintz nach dem Einmarsch der Amerikaner, wie viele andere Oberaußemer Familien auch kurzfristig räumen. Amerikaner hatten darin Quartier bezogen. Die zerstörten Fenster des elterlichen Hauses wurden von den Amerikanern notdürftig mittel Bettwäsche, Tischdecken und sonstigen Stoffteilen geschlossen. Repariert wurden die Fenster erst nach Abzug der Amerikaner. Dies geschah mittels Glasscheiben, die Sofies Vater aus den ebenfalls stark beschädigten Treibhäusern der damaligen Gärtnerei von Johann Nicolin, die etwas außerhalb unseres Ortes an der Bahnlinie zwischen Niederaußem und Bergheim lag, besorgt hatte.