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Ausarbeitung von Ulrich Reimann 2010
Nach dem verlorenen 1. Weltkrieg hatten die Siegermächte den Deutschen das Tragen und Benutzen von Feuerwaffen in Vereinen verboten. Da man aber auch in Oberaußem seit hunderten von Jahren einen Schützenverein hatte, wollte man diese Tradition unbedingt weiterpflegen. Im Januar 1921 bildete sich neben der christlichen Sankt-Vinzentius-Schützenbruderschaft, eine bürgerlich bestimmte, „Volkstümliche Bogenschützengesellschaft“ in Oberaussem. Wegen des noch geltenden Feuerwaffenverbotes, betrieb man den geliebten Schießsport mit Pfeilbogen und Armbrust. Nachdem ab Januar 1922 Feuerwaffen wieder erlaubt waren, stellte sich der Verein, auf Initiative von Christian Conrads von der Bergstraße, auf diese um und erhielt die neue Bezeichnung “Schützengilde Oberaussem“. Bereits bei der Vereinsumstellung am 1. Januar 1922 hatte man 27 aktive Mitglieder. Zum 1. Vorsitzenden wählte man den Landwirt und Fuhrunternehmer Peter Geurts von der Inselstraße. Der neue Verein machte rasch Fortschritte. Schon nach wenigen Jahren besaß man gute Waffen. Auf dem Driesch, hatte der Verein einen eigenen Schießplatz.
Man hatte auch eine eigene Vereinsfahne. Die Fahne war aus grünem Samtstoff. Auf einer Seite war ein Bildnis des schweizer Nationalhelden "Wilhelm Tell mit Armbrust" aufgestickt. Die andere Seite zeigte den Vereinsnamen mit dem Gründungsdatum.
Zur Uniform gehörte ein grüner Schützenrock mit schwarzem Kragen und schwarzen Ärmelstulpen, eine dunkle Hose und der Schützenhut mit linksseitig hochgeklapptem Hutrand, mit Kokarde und nach oben ragender Feder.
Besonders großen Anteil am Vereinsleben und der Vereinsführung der Schützengilde hatten in den 1930ger Jahren, Angehörige der Familie Schneider, im Volksmund auch als "Die Wisels" bekannt, aus der Büsdorferstraße.
Drei Generationen dieser Familie, Wilhelm Schneider sen., seine Söhne Wilhelm jun. und Martin sowie sein Enkelsohn Johann Schneider bekleideten jahrelang Vereinsfunktionen wie 1. und 2. Vorsitzender, Schießmeister u. a. und waren auch als Schützenkönige (1930, 1934, 1937) tätig.
Ein von Martin Schneider handschriftlich geführtes Originalmitgliederverzeichnis, gibt Auskunft über alle Vereinsmitglieder vom Anfang 1922 bis zum Ende der 1930ger Jahre. Das Verzeichnis beinhaltet neben den Namen auch die Adressen, die Berufe, die Geburtsdaten, Vereinseintritts- und auch Austrittsdaten, Angaben über Ehrenämter und Austrittsgründe der Vereinsmitglieder. Insgesamt enthält das Mitgliederverzeichnis die Daten von 98 Männern aus der Gemeinde Oberaußem.
Mitgliederverzeichnis klick hier:
Aus der Anzahl der aufgeführten aktiven Mitglieder und deren Berufsbezeichnungen, ist ersichtlich, dass die Schützengilde in unserem Ort in allen Bürgerschichten vertreten war und wohl auch ein sehr hohes Ansehen bei der Bevölkerung genossen hat. Beleuchtet man die dokumentierten Vereinsaustritte etwas näher, erkennt man, dass es in der Zeit des Nationalsozialismus, etwa ab 1931 zu vermehrten Austritten gekommen war, die Rückschlüsse auf die politische Spaltung der Ortsbevölkerung in dieser Zeit zuläßt. Zeitzeugen berichten, das die Nazi-Partei versuchte größeren Einfluß auf den Verein zu bekommen, was letztendlich wohl auch gelungen ist, aber auch zu einer Vielzahl von Vereinsaustritten geführt hatte. Auch die dem Verein auferlegte Abgabe von sogenannten "Sportgroschen", für die Finanzierung der Olympiade 1936, hatte viele verärgert und zum Austritt veranlaßt.
Das Verzeichnis von Martin Schneider endet 1939, was darauf hindeutet, dass es während der Zeit des II. WK. keine oder nur noch geringe Vereinsaktivitäten gegeben hat.
Laut Zeitzeugen hatte Wilhelm Schneider Ende der 1930ger Jahre den Vereinsvorsitz an Mathias Martino abgetreten, der die Funktion dann bis zur Auflösung der Schützengilde inne hatte.
Repräsentanten der Schützen-Gilde
Die Repräsentanten und Funktionäre der Oberaussemer Schützengilde waren:
Hauptgründer:
Christian Conrads, * 08.03.1873, † 28.10.1923, Fabrikaufseher, Bergstraße
1. Vorsitzender
01.01.1922 – 01.01.1930, Geurts Peter, * 15.03.1883, † 11.10.1932, Landwirt und Fuhrunternehmer, Inselstraße
01.01.1930 – Ende der 1930ger Jahre, Schneider Wilhelm jun., *01.08.1884, † , Bäcker, Büsdorferstraße
Letzter Vorsitzender war Mathias Martino, *03.11.1895, † , Kaufmann, Fortunastraße
2. Vorsitzender
01.01.1927 – 01.01.1930, Schneider Martin, * 04.10.1894, † 1986, Vermessungstechniker, Bahnstraße
01.01.1930 – Ende des Vereins, Rosellen Peter., *03.04.1885, †, Vorarbeiter, Horst-Wessel-Straße (heute Am Berg)
1. Kassierer
01.01.1922 – 31.12.1935, Schreier Jakob, * 01.04.1886, †, Landwirt, Fortunastraße
01.01.1936 – 31.12.1937, Rauwald Wilhelm, * 18.06.1900, †, Förster, Bahnstraße
2. Kassierer
01.01.1927 – 02.09.1931, Käsch Adam, * 07.12.1864, †, Sattler, Fortunastraße
13.09.1931 – Ende des Vereins, Schmidt Wilhelm, * 17.06.1900, †, Schlosser, Fortunastraße
1. Schriftführer
01.01.1924 – 05.01.1929, Weiss Adolf, * 20.08.1887, †, Maurer, Büsdorferstraße
06.01.1929 – Ende des Vereins, Langen Heinrich, * 06.09.1896, †, Expedient, Büsdorferstraße
01.01.1934 – 30.08.1935, 1. Schriftwart: Rauwald Wilhelm, * 18.06.1900, †, Förster, Bahnstraße
2. Schriftführer
06.01.1929 - Ende des Vereins, Rauwald Josef, * 06.09.1896, †, Schreiner, Bahnstraße
1. Schießmeister
01.01.1922 – 31.12.1936, Füser Wilhelm, * 20.08.1887, † 21.07.1930, Landwirt, Bahnstraße
01.01.1927 – 01.01.1930, Schneider Wilhelm jun., *01.08.1884, †, Bäcker, Büsdorferstraße
01.01.1930 – 04.07.1937, Schneider Martin, * 04.10.1894, † 1986, Vermessungstechniker, Bahnstraße
2. Schießmeister / Schießwart
05.01.1929 – 14.01.1934, Weiss Adolf, * 20.08.1887, †, Maurer, Büsdorferstraße
15.01.1934 – 30.08.1935, Rauwald Wilhelm, * 18.06.1900, †, Förster, Bahnstraße
30.08.1935 – Ende des Vereins, Esser Gerhard, * 15.05.1897, †, Grubenarbeiter, Niederaußemerstraße
Platzmeister
15.09.1929 – Ende des Vereins, Schmitz Andreas, * 29.05.1874, †, Invalide, Horst-Wessel-Straße (heute Am Berg)
Kassenbote
1926 – 31.12.1933, Spohr Mathias, * 10.09.1879, †, Invalide, Horst-Wessel-Straße (heute Am Berg)
01.01.1934 – 31.12.1934, Schallenberg Gerhard, * , †, Bürobeamter, Mühlenstraße
01.01.1935 – Ende des Vereins, Oßdorf Jakob, * 10.10.1874, †, Schmied, Mittelstraße
Ehrenvorsitzender
01.01.1930 – 11.10.1932, Geurts Peter, * 15.03.1883, † 11.10.1932, Landwirt und Fuhrunternehmer, Inselstraße
Ehrenmitglied
Ab 30.04.1933, Zilleken Franz, *, †, Besitzer Gut Asperschlag
Schießanlage auf dem Driesch
Auf dem Driesch hatte der Verein einen eigenen Schießplatz mit Vogelhochstand, einem 100 m- und einem 50 m - Scheibenschießstand. Auf dem links oben stehenden Foto, ist links im Hintergrund die einstige Schießanlage der Schützengilde erkennbar, das Gebäude rechts ist das einstige Haus der Familie Müller (heute Ecke Friedens - Dürbaumstraße). Das rechte Foto zeigt im Hintergrund Gebäudeteile der Schießanlage auf dem Driesch. Bei den beiden im Gras liegenden Personen handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den im Krieg gefallenen Conrad Conrads (Vater des Dachdeckermeisters Peter Josef Conrads) links und um Hubert Wilberts, einen Onkel des Historikers Gerd Friedt. Die Schießanlagen der Schützengilde wurden Ende des 2. Weltkrieges mutwillig von Jugendlichen, z.T. unter Einsatz von frei überall herumliegender Kriegs-Munition zerstört. In späteren Jahren wurde das gesamte Gelände intensiv bebaut.
Heute befinden sich dort zahlreiche moderne Wohnhäuser.
Totengedenkbuch
Interessant ist auch ein von Martin Schneider in Handarbeit erstelltes Totenbuch der Schützengilde. Darin findet man alte Personenfotos und persönliche Daten von verstorbenen Mitgliedern.
Schützenkönige der Gilde von 1922 - 1939
- 1922 Schmitz Wilhelm, Lokomotivführer, Niederaußemerstraße
- 1922 Kamp Peter sen., Fabrikaufseher, An der Bahn
- 1923 Giesen Wilhelm, Grubenarbeiter, Fortuna
- 1924 Schmitz Cornelius, Schachtmeister (Invalide), Horst-Wessel-Str.
- 1925 Füser Theodor, Grubenarbeiter Fortunastraße
- 1926 Braun Peter, Grubenarbeiter, Niederaußemerstraße
- 1927 Schmitz Wilhelm, Lokomotivführer, Niederaußemerstraße
- 1928 Rosellen Peter, Vorarbeiter, Horst-Wessel-Str.
- 1929 Lützenrath Heinrich, Land- u. Gastwirt, Kirchstraße
- 1930 Schneider Wilhelm sen., Kleinrentner, Büsdorferstraße
- 1931 Hintzen Gottfried, Invalide, Niederaußemerstraße
- 1932 Geuer Johann, Baggerführer, Niederaußemerstraße
- 1933 Schmitz Andreas, Invalide, Horst-Wessel-Str.
- 1934 Schneider Wilhelm jun., Bäcker, Büsdorferstraße
- 1935 Lövenich Peter, Invalide, Komödchenstraße
- 1936 Rauwald Josef, Schreiner, Bahnstraße
- 1937 Schneider Johann, Kaufmann, Büsdorferstraße
- 1938 Martino Mathias, Kaufmann, Fortunastraße
- 1939 Braun Christian, An der Jussenhöhle
Pfigsten 1934, Schützenfest der Sankt-Vinzentius-Schützenbruderschaft, König war Johann Wintz (Speckwärts Johann), an seinem Fest nahmen auch viele Mitglieder der Schützengilde teil. Zur Parade beim Festzug hatte man sich gemeinsam vor dem einstigen Konsumgeschäft an der Hauptstraße aufgestellt (heute steht hier das Geschäftshaus Zander). Das rechte Foto zeigt den Vorbeimarsch der Abordnung der Schützengilde mit ihrer Fahne.
Das nebenstehende Foto zeigt den Festzug beim Schützenfest der Sankt-Vinzentius-Schützenbruderschaft 1934. Hoch zu Ross reiten die beiden Gildemitglieder Heinrich Lützenrath re. und Heinrich Hoppen dem Zug der befreundeten Schützenbruderschaft voraus. Links erkennt man das Wohnhaus des Fleurshofes in der Mittelstraße.
Dieses Foto zeigt die Kutsche mit dem Schützenkönig der Schützengilde bei deren Schützenfest 1938, König der Gilde war damals Matthias Martino. Auf dem Kutscherbock sitzen li. Johann Zennsus und Wilhelm Schneider.
Bei noch lebenden Zeitzeugen sind die stets zu Peter und Paul (29. Juni), groß gefeierten Schützenfeste der Schützengilde in guter Erinnerung. Eröffnet wurde Das Schützenfest der Gilde stets durch Böllerschüsse, die der Böllerschütze Johann Hündgen durchführte. Man feierte also neben der St.-Vinzentius-Schützenbruderschaft, die immer an Pfingsten ihr Schützenfest abhielt, ein eigenes Schützenfest, mit einem großen Festzug durch den geschmückten Ort. Zur Vinzentiusbruderschaft bestand aber über die meiste Zeit ein gutes Verhältnis. Viele Aktive der Schützengilde waren auch Mitglied der Bruderschaft. In Oberaußem war man zur damaligen Zeit überwiegend katholisch und es bestand der Brauch, das Jungen nach dem Fest ihrer ersten heiligen Kommunion quasi automatisch Mitglied der Vinzentiusbruderschaft wurden. So beteiligten sich die Mitglieder der Schützengilde auch zwangsläufig an den Festlichkeiten der Schützen-Konkurenz. So ritten dem jeweiligen Festzug oft Funktionsträger beider Vereine voraus und der jeweilige Schützenkönig folgte in einer offenen Pferdekutsche. Es galt als eine besondere Ehre im Verein, einmal als Schützenkönig der Gilde gefeiert zu werden. Man legte bei der Schützengilde auch stets großen Wert auf vollzählige Mitgliederteilnahme an den Feierlichkeiten des Vereins. Es gab auch eine Verpflichtung zu den Festlichkeiten der befreundeten Schützenvereine stets eine Abordnung mit der Vereinsfahne zu entsenden. Manch einer unentschuldigten Nichtteilnahme an Festveranstaltungen, folgte der Ausschluß der betreffenden Mitglieder aus dem Verein.
Der 2. Weltkrieg hatte auch das Vereinsleben der Oberaußemer Schützengilde zum Erliegen gebracht. Einige der Mitglieder, die Soldat wurden, kehrten nicht mehr nach Hause zurück.
Wohl zum Ende des 2. Weltkrieges, im März 1945, wurde die Schützengilde von den Amerikanischen Besatzungstruppen aufgelöst, die dabei auch deren Schusswaffen beschlagnahmten.
Eine Wiederbelebung bzw. Neugründung des Vereins wurde laut Martin Schneider nach dem Krieg zwar angestrebt, konnte aber aus Kostengründen nicht realisiert werden.
Quellen:
- Familienchronik von Martin Schneider, Oberaußem, Zur Ville
- Originalmitgliederverzeichnis der Schützengilde Oberaußem von Martin Schneider, Oberaußem, Zur Ville
- Originaltotenbuch der Schützengilde Oberaußem von Martin Schneider, Oberaußem, Zur Ville
- Fotos zur Schützengilde aus Privatbesitz von Wilhelm Scheider, Oberaußem, Zur Ville
- Zeitzeugenberichte: Wilhelm Schneider, Katharina Überschär, geb. Schneider
- Fotos aus Privatbesitz: Wilhelm Schneider, Katharina Überschär, Käthe Kluge, Gerd Friedt,
- Recherchen, Texte und Layout: Ulrich Reimann