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Lehrerin Maria Klostermann

Ausarbeitung von Ulrich Reimann, 2022

 

Maria Klostermann kam 1929 an die  Volksschule in Fortuna. Sie war eine sehr beliebte Lehrerin. Gewohnt hat sie während ihrer mehr als 20jährigen Fortunazeit stets im Kloster Bethlehem. Frau Klostermann hinterließ eine maschinengeschriebene, akribische Aufzeichnung des Kriegsgeschehens im Kloster Bethlehem ab dem 25. Februar 1945. Ihre Aufschreibungen der Zeitgeschichte gehören unbedingt zur Dokumentation der Historie von Oberaußem-Fortuna und dem Kloster Betlehem.

 

Sie schreibt: >> […] Ereignisse in Kloster Bethlehem nach dem 25. Februar 1945 Aufgezeichnet von M. Klostermann, Lehrerin.

Am Sonntag, den 25.02.1945 rückte die Front bedenklich näher. In der Nacht waren die ersten Artillerie-Schüsse über uns hinweg gesaust. Morgens begann sehr früh die Tätigkeit der Tiefflieger, ich wusste kaum, wie ich nach der 1/2 8 Uhr hl. Messe zurück zum Kloster kommen konnte. Den ganzen Tag über hatten wir dann Alarm bei strahlendem Sonnenschein. Der Flakstab, der in Bethlehem sein Quartier hatte, packte fieberhaft, obwohl der Koch vorher zu den Schwestern gesagt hatte:

„Macht tüchtig ein, damit wir zu essen haben, wir bleiben doch länger hier als ihr! Bei Eintritt der Dunkelheit verließen die ersten Autos mit Helferinnen den Hof. Die meisten Mädel waren sehr gedrückt, aber alle mußten mit, auch die, die aus Fortuna, Bergheim und den umliegenden Dörfern zu Hause waren. Drüben im Rektorat wurde die Gauleitung der NSDAP auch immer nervöser. Montags räumte der Stab vollends. Alle Telefonleitungen wurden durchschnitten. Kaum waren sie fort, begann für uns das Aufräumen, Umräumen und Packen. Alles Bettzeug wurde in den Keller oder in das Stübchen neben der Bügelstube gebracht. Die Schwestern zogen wegen des heftiger werdenden Aribeschusses in den Keller. Die Räume neben der Brotstube wurden hergerichtet. Der letzte Raum wurde Schlafraum für die Schwestern, er hatte drei Luftschutzbetten, je zwei übereinander. In dem anderen Raum wurde für die kranke Schwester Helena ein Bett aufgeschlagen. Hier fand auch unser Kanarien - Häuschen eine Unterkunft. Die restlichen vier Schwestern schliefen im Vorraum vor der Waschküche. Unsere älteren Schwestern: Schwester Blanka, Schwester Pulcheria, Schwester Cölestine, Schwester Achatia und Schwester Alexandra waren am 29. November 1944 zum Mutterhaus gereist. Für die fünf Hausangestellten und mich wurden Lager im Gang vor der Backstube hergerichtet. Johann, der Pole, der treu die Landwirtschaft versorgte, und Pitter zogen in den Heizraum vor der Backstube. Unsere Männer: Opa Feldhoff, Herr Tirtei, Herr Schallenberg, Heinrich Türer, Herr Schornstein und Veiten (die beiden letzteren waren aus Setterich) und Herr Kaplan Korth bekamen je eine Chaise in den Küchenflur gestellt. Da Schwester Cölestine seit November 1944 fort war, übernahm ich es, das Bettzeug vom Altbau nach unten zu bringen. Mehrere Male mußte ich aufhören, weil die Jabos (Jagdbomber) zu unverschämt wurden. Dann wurden alle Vorhänge abgenommen und mit den Decken, Deckchen und Kissen in Körbe gepackt, die auch zum Keller wanderten, die Bilder kamen in die Schrankschubladen. Die große Muttergottes-Statue vom Altbau stellten wir mitten in den Flur. Am Dienstag früh ging ich noch einmal nach Oberaußem zur NSV. (Man hatte mir, nachdem am 25. September 1944 die Schulen geschlossen worden waren, die Verpflegungsausgabe für ca. 900 Westwallarbeiter, 40 Gestapo, 40 NSKK und 50bis 60 Hitlerjungen übertragen.) Das Nest war aber leer. Oberaussem wimmelte von Militär. Oben an der Mühle hatte deutsche Artillerie Aufstellung genommen. Schnell eilte ich zurück. (Zur gleichen Zeit wurde in Oberaußem meine Schülerin Kätchen Raab, die in Großkönigsdorf von einer Bombe getötet worden war, zur letzten Ruhe

bestattet. Leider wusste ich es nicht, sonst hätte ich den Weg zum Friedhof bestimmt nicht gescheut.) Hier im Haus ging das Räumen weiter. Die Brotstube wurde Kapelle. Morgens früh feierte Herr Kaplan Korth dort das hl. Opfer. Es war ergreifend, wenn sich dann die kleine Gemeinde um den Altar scharte, während das Dröhnen der Geschütze die Fenster klirren machte. Im Keller war ein fortwährendes Kommen und Gehen. Die Kampftruppen gingen von dort durch den Garten in den Wald undkamen auch so zurück. Natürlich hatten die Jabos das bald heraus und umkreisten Bethlehem dauernd. Wasser und Licht gab es nicht mehr, da das Wasserwerk in Sindorf getroffen war. Alles Wasser mußte aus Fortuna geholt werden, aus einer Pumpe unterhalb der Kippe. Die Soldaten holten das Wasser.

Mittwoch, den 28. Februar 1945 zogen die Amerikaner in Bergheim ein. Nach hier sollte Verstärkung kommen. Gegen Abend traf sie ein. Horrem, Quadrath, Niederaußem waren in der Hand der Amerikaner. Donnerstag kamen sie in denWald von Bergheim her, wurden aber von unseren Truppen zurückgeworfen, darauf setzte am selben Nachmittag gegen 1/2 7 Uhr ein furchtbarer Aribeschuss ein. Die Schwestern waren gerade in der Brotstube zu Tisch. Herr Kaplan Korth, ein Offizier und ich waren in der Küche, als das Heulen, Bersten und Krachen begann. Man meinte das Haus stürze zusammen. Überall Staub und Scherben. Die Schwestern flüchteten schnell in den Luftschutzkeller, in dem Frau Schallenberg und Frau Arenz, die Bethlehem nicht verlassen wollten, wohnten. (Frl. Panz, Frl. Klein, Frau Volkery und Frau Kniep waren am Dienstag noch mit einem Sanitätsauto nach Knechtsteden gebracht worden). Herr Kaplan Korth flüchtete in eine Küchenecke, der Offizier lag gleich platt auf dem Boden und ich suchte Schutz an der Küchenwand. Nachdem noch eine zweite Salve vorüber war, wurde es wieder ruhig. Es dauerte nicht lange, da kamen unsere Soldaten zurück aus dem Wald. Sie brachten eine ganze Anzahl Verwundeter mit. Schwester Oberin Clarissa und Schwester Winanda halfen den Sanitätern beim verbinden. Bald war jede Chaise belegt, oft von zwei Verwundeten. Die meisten hatten Bein- oder Armverletzungen; einer jedoch hatte einen KopfschußEr war bewusstlos, knirschte aber dauernd mit den Zähnen bis eine Spritze half. Es war ein trostloses Bild bei notdürftiger Kerzenbeleuchtung. Dann kam Bescheid, dass Bittel‘s bestes Pferd durch den Beschuss getötet sei und was weit schlimmer war, dass draußen am Geschütz vor dem Haus ein Toter liege. Derselbe hätte morgens noch mit Herrn Kaplan gesprochen und ihm seine Personalien und Heimatadresse mitgeteilt für den Fall, dass ihm etwas passieren würde. Die Kameraden holten ihn und Herr Kaplan begrub ihn in einem Einmannloch im Garten während einer Beschusspause. Als wir uns draußen dann mal umsahen, mußten wir feststellen, dass die Ökonomie besonders schwere Treffer bekommen hatte, auch die Kapelle, und das Altbaudach. An der Rückseite des Hauses gab es keine ganzen Fensterscheiben mehr. Es zog überall furchtbar. In der Küche gab es viel Arbeit, da unsere Soldaten hungrig und durstig von jeder Streife zurückkamen. Müde hockten sie sich in jeden Winkel, um nach kurzer Rast wieder hinaus zu müssen. Es war trostlos — weil es doch auch so nutzlos war. Gegen elf Uhr abends brachte ein Pferdefuhrwerk nochmals Verpflegung für die Leute. Es war klarer Vollmondschein, taghell alles beleuchtet. Die Jabos sausten ununterbrochen durch die Gegend. Dennoch gelang es, die Verwundeten auf das Fuhrwerk zu legen. Sie wurden mit einem Zelttuch, auf dem ein rotes Kreuz angebracht war, bedeckt. Dann fuhren sie gegen 1 Uhr ab und kamen ohne Zwischenfall in Brauweiler an, wie gemeldet wurde. Inzwischen kam das Frontgeschehen immer näher und näher. Nachts brachten Soldaten noch einen toten Kameraden, den sie unweit der Grotte gefunden hatten. Herr Kaplan begrub auch diesen in einem Einmannloch. An Schlafen war in dieser Nacht nicht zu denken. Wir blieben im Luftschutzkeller, in den uns auch der Heiland begleitete. Am Morgen teilte Herr Kaplan nur die hl. Kommunion aus. Dann blieben wir möglichst im Luftschutzkeller. Nach und nach kam das Schießen immer näher. Der Oberleutnant und ca. 14 Soldaten fanden sich auch bei uns ein. Sie sahen keinen anderen Ausweg mehr, als in die Gefangenschaft zu gehen. Ihre Waffen lagen zerbrochen vor der Küchentür. Nun vernichteten sie noch manches von ihren Briefsachen, Bildern und dergleichen. Es war ein Bild das traurig machte. Hier bat einer eine Schwester sie möchte doch seinen Angehörigen schreiben und gab ihr die Adresse - ein anderer bat, man möge für ihn beten, mir gab einer seinen Brustbeutel mit seinem Ehering, 100 RM und einer Marienmedaille. Alle fürchteten sich vor dem Kommenden. Der Oberleutnant gab ihnen noch doppelte Verpflegung und ermunterte sie zum Essen, da sie doch so bald nichts wieder bekommen würden. Aber den meisten schmeckte es nicht. Das Schießen war jetzt direkt um das Haus herum. Dann hörte man ein Krachen im Haus. Da hielt Schwester Oberin Clarissa es nicht mehr im Keller aus. Zusammen mit Herrn Kaplan ging Schwester Oberin nach oben und stand im Parterre den Amerikanern gegenüber. Diese erschraken; denn sie hatten wohl nicht damit gerechnet, dass noch Leute im Hause seien. Oben in den Etagen wurden schon überall die verschlossenen Türen eingetreten. Wir mußten nun alle aus dem Keller kommen. Die Soldaten mußten die Treppe zum Altbau hin benutzen. Sie wurden gleich visitiert und in Richtung Bergheim abgeführt. Sie wurden ordentlich behandelt. Wir Zivilisten mußten die Treppe zum Chörchen gebrauchen. Überall standen Amerikaner mit schussbereiter Waffe im Hof, im Chörchen, auf den Treppen, in den Gängen. Und es war so kalt, es zog so sehr wir hatten nicht geschlafen. Herr Kaplan konnte sich auf Französisch etwas verständigen. Wir durften dann wieder in die Küche gehen, weil das der einzige warme Raum war. Ich vergaß zu schreiben: In der Frühe des Tages brachte man noch einen Schwerverletzten, der ganze linke Unterarm war zerfetzt. Ein Sanitäter brachte ihn aus dem Walde mit und blieb auch bei ihm. Der arme Verwundete jammerte so sehr. Immer wieder rief er: „Bringt mich doch fort, ich will nicht in Gefangenschaft, die machen mich tot ich habe viele Kinder zu Hause!“ Es war furchtbar! Zum Glück hatte Schwester Winanda noch eine Morphiumspritze, danach wurde er ruhiger. Er lag im Küchenflur auf einer Chaise, der Sanitäter saß bei ihm. Als den Amerikanern gemeldet wurde, dass im Keller noch ein Schwerverwundeter und ein Sanitäter seien, da gingen sie hinunter und sahen sich sie an. Dann brachten sie ihnen je eine Zigarette, eine Wolldecke und dem Sanitäter einen dicken warmen Mantel, weil es dort unten so zog. Später holte ein Sanitätsauto beide ab nach Bergheim. In der Küche durften wir uns um den Herd herum setzen. Die Männer mußten bei der Tür bleiben. Sie wurden nach Waffen und Messern untersucht. Dann konnten auch sie sich setzen. Pitter hatte seinen Koffer mit Wäsche und Anzügen bis in die Küche gebracht, nun setzte er sich darauf in der Freude, wenigstens das gerettet zu haben. Aber es sollte anders kommen! Zwei Amerikaner blieben in der Küche zurück. Offiziere gingen ein und aus. Panzer hörten wir vorbei rollen. Es war uns alles ziemlich gleichgültig, jetzt merkten wir erst, wie erledigt wir waren und wie müde. Herr Kaplan fragte in Französisch, ob wir für uns kochen dürften. Das wurde gleich bewilligt und Schwester Ferreria kochte Grießbrei. Nach einiger Zeit brachte man aus Fortuna alle Leute, die diesseits der Bahn in ihren Häusern angetroffen worden waren. Man sah viele ängstliche Gesichter, aber auch schon solche, die mit den fremden Soldaten liebäugeln wollten. Es wurde uns anders. Als es gar zu voll wurde, bekamen die Schwestern die Erlaubnis, in die Brotstube gehen zu dürfen. Wir schlossen uns an. Dort aßen wir erst den guten Brei, spülten und dann wollten wir ruhen, nur ruhen, wir waren ja alle so so so müde. Auf einmal kam Herr Kaplan Korth ganz aufgeregt herein gestürmt: „Alles muß sofort zur Pfarrkirche nach Fortuna schnell, schnell! Sonst wird auf uns geschossen! Dieser Schreck! Nun wollten wir wenigstens unsere Luftschutztasche aus dem Luftschutzkeller mitnehmen. „Nix raus! hieß es da. So mußten wir ohne alles uns auf den Weg machen. Der Anblick der sich uns bot, als wir nach draußen kamen, war trostlos. Der ganze Hof ein Morast, alles voller feindlicher Fahrzeuge. Aus den Fenstern des Rektorats, aus Neubau und Altbau schauten amerikanische Soldaten. Nur unsere Agnes hatte Mut. Sie ging ans Fenster der Bügelstube und zeigte auf zwei Kleider, die an einem Regal dort hingen. Anstandslos reichten die Amerikaner sie ihr heraus. In der Allee sahen wir ein wüstes Durcheinander von Zweigen, Leitungsmasten, Drähten überall Verwüstung, Zerstörung 1 Man führte uns quer über das Feld. Als wir an die Straße kamen, die nach Kenten führt, mußten wir warten und amerikanische Truppen vorbei lassen, die einer hinter dem anderen die Straße herauf kamen. Wir konnten in dieser Zeit Umschau halten. Da sahen wir auf dem Felde einen deutschen Gefallenen liegen, das Herz tat weh. Dann ging es weiter den Bahndamm hinunter, über die Schienen, an der anderen Seite wieder hoch, durch einen Garten in die Bahnstraße. Auch hier derselbe trostlose Anblick. Viele Häuser der Bahnstraße hatten durch den Aribeschuss sehr gelitten, auch die Schule hatte sieben Treffer. Die Leute, die uns begegneten, hatten alle ängstliche Gesichter, viele sahen durch den langen Aufenthalt im Stollen krank und elend aus. Wir kamen in die Kirche. Ein Treffer hatte die Orgel zerstört, ein kleinerer die linke Wand durchschlagen - alles voller Schutt, Glassplitter und Staub. Im Mittelgang stand noch die Tumba - morgens sollten die Exequien für Käthchen Raab sein, die aber wegen des Einzugs der Amerikaner verschoben werden mußten. Nun räumten die Schwestern schnell die Tumba fort. Herr Dechant Heinrich Meurers brachte das Allerheiligste aus dem Tabernakel in den Tresor in der Sakristei - und dann warteten wir durchfroren und todmüde auf das, was man uns zu sagen hatte. Viele Leute aus Fortuna warteten mit uns. Dann hieß es auf einmal: „Alles muß wieder in den Stollen, in den Kirchenkeller, oder in einen Keller der fünf anliegenden Häuser, weil der deutsche Aribeschuss einsetzen wird.“ Wir gingen in den Kirchenkeller und zwar in den sogenannten Krippenkeller. Dort waren wir für uns und hatten uns bald damit abgefunden die Nacht dort zu verbringen. Für die arme kranke Schwester Helena war es furchtbar. Da ließ Schwester Oberin Clarissa durch Schwester Winanda in der Pastorat fragen, ob sich dort für die Kranke wohl ein Plätzchen vielleicht noch finden ließe. Herr Dechant Meurers ließ antworten, Schwester Helena solle kommen - außerdem sei die Waschküche noch frei, wenn wir damit vorlieb nehmen wollten, möchten wir alle kommen. Wer war froher als wir. Schnell nahm jede ihren Stuhl und eilte damit in die Pastorat. Schwester Helena bekam einen Liegestuhl, und wir anderen suchten einen Platz in der Waschküche. Unter dem Waschkessel brannte bald ein Feuer, wir brauchten nicht zu frieren. Fräulein Anna, die Haushälterin des Herrn Dechant, kochte für uns alle dann noch eine dicke Suppe, da wir doch auch zum Essen nichts mitnehmen durften aus Bethlehem. So erschöpft wir auch waren, schlafen konnten wir auf den Stühlen doch nicht - nur unsere Mädel Else, Margret, Eva, Sophie, Lehnchen und unsere Agnes fanden Schlaf. Am nächsten Morgen war in der Pfarrkirche keine hl. Messe. In der Kirche hatten es sich einige Familien wohnlich gemacht, die ihre Häuser für die Kampftruppen räumen mußten. Geräumt werden mußten die Oberaußemer Straße, von der Bethlehemer Straße der obere Teil bis zur Kentener Straße, die Grubenstraße, die Giersbergstraße bis Lanzeraths und Cornelius Schmitz, die Kentenerstraße, Bahnstraße, Schulstraße und Kirchstraße. Aus fast jedem Küchenfenster sah bald eine Pfeife eines Herdes heraus. Betten wurden aufgeschlagen, Tische und Stühle aufgestellt und dergleichen mehr. Wir halfen in der Pastorat, so gut wir konnten, vor allem schleppten unsere Mädels Wasser. Mittags hieß es dann, wir dürften zurück nach Bethlehem. Gegen drei Uhr machten wir uns auf den Weg. Dieses Mal ging es nicht querfeldein, sondern über die Ringstraße und Bethlehemer Straße. Wir wollten vom Hof aus in den Küchenflur. Herr Kaplan begleitete uns, doch schon hieß es wieder. „Nix Zivil, nur Sisters! „0 weh, wieder mußten wir zurück. Es war uns furchtbar, die Schwestern allein in Bethlehem zu lassen, aber alles Weinen, Klagen half nichts. Mit einem Korb voller Esswaren bewaffnet gingen wir - unsere Mädchen, die Männer und ich - zurück. Die Männer blieben für die Folge in der Messdienersakristei in der Kirche, die heizbar war. Nachts legten sie sich auf die Kokosläufer, von denen sie mehrere aufeinander legten. Es war auf jeden Fall besser als im Stollen. Dieser wurde auch bald von den Amerikanern geschlossen. Die Mädchen und ich durften weiterhin in der Waschküche der Pastorat bleiben.

Fräulein Anna kochte für uns und die Männer zunächst mit. Schwester Helena blieb noch einige Tage in der Pastorat, erst am Dienstag wurde sie nach Bethlehem geholt. Die Schwestern fanden in Bethlehem viel, viel Arbeit, als sie am Samstag Nachmittag kamen. Die Kapelle mußte zunächst einigermaßen hergerichtet werden, weil der Herr Kaplan am Sonntag um 8 Uhr das hl. Opfer für die Amerikaner feiern sollte. Da die Fenster in der Kapelle alle zerstört waren, war es dort sehr kalt. Die Schwestern durften am Sonntag auch dem hl. Opfer beiwohnen, man hatte sogar für sie Bänke frei gelassen. Alle Schwestern äußerten sich nachher lobend über die gesammelte Haltung der amerikanischen Soldaten, die auch fast alle zur Kommunion gegangen waren. Zunächst durften die Schwestern nur die Brotstube und die drei Schlafräume benutzen. In der ersten Nacht wurden die Schwestern durch mehrfaches Klopfen an der Tür gestört, vermutlich durch die Ärmsten, die im Vorraum vor der Waschküche schliefen. Am nächsten Morgen beschwerte sich Schwester Oberin, daraufhin wurden die Türen gekennzeichnet mit „Sisters“ und die Störungen hörten auf. Mittwochs bekamen die Schwestern die große Küche frei, von da an kochten sie auch für uns. Wir holten mittags und abends das Essen in Milchkannen mit einem Ziehwagen. Von den Schwestern durfte Schwester Chrisostoma in den Stall, um das Vieh zu versorgen. Die meisten Hühner waren fort. Ein Schwein war abgeschlachtet - Kopf und Beine lagen auf dem Mist. Dorthin sollte auch ein großer Eimer mit Gänsefett geschüttet werden. Schwester Chrisostoma begegnete gerade dem Koch und seinem Gehilfen als die den Eimer über den Hof trugen. Da sie Schwesters entsetztes Gesicht sahen, fragten sie, ob Schwester den Inhalt haben wollte. Und ob! Von da an fiel manches für die Schwestern ab. In der Pfarrkirche war ab Sonntag jeden Morgen hl. Messe. Schwester Bertina, die bei uns im der Pastorat geblieben war, deckte Stunde vorher den Altar, wobei ich helfen durfte. Die Familien, die in der Kirche wohnten, verhielten sich während der Zeit ruhig. Die meisten Leute lagen noch im Bett, nur hier und da kochte das Kaffeewasser. Nach der hl. Messe wurde das Allerheiligste wieder in die Sakristei gebracht und der Altar ganz abgeräumt. Dann war in der Kirche das Leben wie in den Häusern. Nach und nach suchten sich die Leute Unterkommen in einem der nicht beschlagnahmten Häuser, weil in der Kirche es doch zu kalt war. In manchem Haus wohnten 5 bis 6 Familien. Man half und behalf sich. Bürgermeister wurde Herr Fritz Meurers. Seine Hauptsorge galt zunächst der Herbeischaffung von Lebensmitteln, vor allem sorgte er für Milch für die Kleinkinder. Am nächsten Tag mußten sich im Konsum alle bei den Amerikanern melden, die in der Partei oder in einer der Gliederungen tätig gewesen waren. Wegen meiner NSVTätigkeit meldete ich mich auch. Man verlangte meine Papiere, da ich aber nichts bei mir hatte, sollte ich sie in Bethlehem holen. So machte ich mich also auf den Weg. Unbehelligt kam ich über den Hof unten in die Küche, wo mich die Schwestern freudig begrüßten. Den Schwestern war es inzwischen gelungen, unsere Sachen aus dem Luftschutzkeller in Waschkörben zu holen. Die Amerikaner hatten die Koffer aufgerissen oder aufgeschnitten, was ihnen gefiel herausgenommen, das andere ausgeschüttet. Somit lag alles durcheinander. Leider fand Schwester Oberin Clarissa in dem Durcheinander auch eine Reihe heiliger Hostien. Das Ciborium war wohl umgefallen. Mit großer Vorsicht und schmerzlicher Andacht sammelte Schwester Oberin die heiligen Hostien aus dem Wirrwarr heraus. Ein Kelch und die Monstranz fehlten. Letztere wurde später dem Oberpfarrer in Bergheim wieder abgegeben; vom Kelch fehlt jede Spur.

Fast eine Woche lang habe ich dann von morgens 1/2 10 bis nachmittags 4 Uhr in der Waschküche die Sachen sortiert. Wie froh war man, wenn man wieder etwas fand, was einem gehörte. Ab und zu kam eine Schwester, um zu sehen, was sich von ihren Sachen gefunden hatte. Groß war die Freude, als ich nämlich zuletzt meinen Schott gefunden hatte. Vieles fehlte! So fand ich z.B. kaum ein Schwesterntaschentuch, sie waren zum Gewehrreinigen auch gar sehr bequem. Ein WollkIeid von mir fand ich hinten im Garten beim Bienenhaus wieder. Viele Bettwäsche zogen wir aus dem Schmutz im Hof. Nach zehn Tagen wurden die Kampftruppen in Richtung Köln abkommandiert.

Da endlich durften wir zurück. Wie aber sah es in Bethlehem aus. Als erstes waren wir darum bemüht, die Zimmer von Schutt und Dreck zu reinigen und sie bewohnbar zu machen. Alles Mobiliar war durcheinander gebracht. So suchten wir z.B. die große Muttergottes - Statue, die wir doch mitten in den Altflur gestellt hatten. SchIießIich fanden wir sie in einem Kleiderschrank mit den kleinen Statuen vom hl. Josef, dem hl. Herzen Jesu, der hl. Elisabeth, wieder. Man wusste nicht wo man beginnen sollte. Alles half! Herr Kaplan schaffte im Garten, durch den die Panzer kreuz und quer gefahren waren, durch die Mauer hindurch. Die beiden in den Einmannlöchern begrabenen Soldaten wurden ausgegraben. Herr Kaplan mußte lange suchen, bis er sie fand, da die Panzer alle Löcher zugefahren und verwischt hatten. Sie wurden nebeneinander auf dem Rasenstück hinter dem Maschinenhaus beigesetzt. Als dritter kam dazu der Gefallene, den wir auf dem Feld gesehen hatten. Ihn hatten die Amerikaner auf unserem Acker neben der Allee begraben. Nun lagen alle drei nebeneinander, und machten wir einen Gang durch den Garten, so verhielten wir den Schritt und beteten still für sie in Dankbarkeit. Wochenlang fehlten nur noch Wasser und Licht: Dennoch ging es täglich - wenn auch langsam - voran! <<

Soweit die Aufzeichnungen von Frau Klostermann.

 

 

Quellen:

"Ereignisse in Kloster Bethlehem nach dem 25. Februar 1945" Aufgezeichnet von M. Klostermann / veröffentlicht von Heimatfreunde Niederaußem-Auenheim

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