Rotes Kreuz in Oberaußem
von Gerd Friedt
Der Start der Oberaussemer Jugendrotkreuzgruppe
Nach über 45zig Jahren sind Erinnerungen nicht mehr so klar, um die Entstehung der Jugendrotkreuzgruppe Oberaussem und ihre Entwicklung vom Zeitraster her klar beschreiben zu können. Viele Ereignisse und Begegnungen stehen mir, ohne mich jedoch an die genauen Daten zu erinnern, jedoch noch klar vor Augen. Ich kann hier den Zeitraum von ca. 1958 bis 1965/66 beschreiben. Hier in der Jugendrotkreuzgruppe Oberaussem fand eine positive Sozialisierung eines Teiles der Ortsjugend statt den man nicht übersehen darf und der im Rückblick als äußerst positiv zu bewerten ist. Wie uns Dürbaum überliefert hat, wurde 1906 „Die freiwillige Sanitätskolonne vom Roten Kreuz Grube Fortuna" durch Johann Mörs begründet. Diese Kolonne hat von Öffentlichkeit und kompetenter Seite hohe Anerkennung genossen. Vor dem zweiten Weltkrieg gehörten Anton Rommerskirchen und Johann Grossmann aus Oberaussem dem Roten Kreuz an. In Oberaussem hat eine Ortsgruppe des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Zeit meines Lebens nach 1945 bestanden. Als Kind kann ich mich noch an die Umzüge bei den Dorffesten erinnern , bei denen immer das Deutsche Rote Kreuz, vertreten durch die Ortsgruppe Oberaussem präsent war. Als Personen welche ich stets mit dieser Ortsgruppe verbinde ist der Rentner Anton Rommerskirchen von der Kirchstraße und der Friseurmeister Toni Kuhlmann zu nennen, welcher auf der Niederaussemer Straße lebte. Meine erste persönliche Begegnung mit der Ortsgruppe Oberaussem fand um das Jahr 1959/60 herum statt.
Ich war noch in der Volksschule, die ich im März 1960 beendete, als die Ortsgruppe des DRK in einer Werbeaktion an der Schule um Nachwuchs warb. Dort wurde an mehreren Abenden erste Hilfe Kurse angeboten und vor allem Verbandstechnik geübt. Es erschien mir und etlichen anderen Altersgenossen interes- sant und sinnvoll am Vereins- leben des DRK Oberaussem teilzunehmen. Zudem machte die Oberaussemer Ortsgruppe des DRK einen weniger martialischen Eindruck wie die Feuerwehr Oberaussem, die noch vom alten Heinrich Wolf geführt wurde und in der Zucht und Ordnung in einem vergangenen Sinne herrschten. Wenn ich mit recht erinnere waren als jüngere Leute der Jahrgänge 1942/43/44, Friedolin (Friedel) Kremer, Willi Schönen, Dieter Basten, Reiner Kremer (Knolle Hugo) und auch Heinz Abel zu dieser Zeit schon Mitglieder des DRK Ortsverbandes. Ein Jugendrot- kreuz gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die älteren Herrschaften an die ich mich erinnere, zu dieser Zeit auch noch im besten Mannesalter, waren Toni Kuhlmann, Der Schlosser Peter Kremer , der Elektriker Heinz Herberz beide auf der Abts-Acker-Straße lebend, der Friseur und Berufssanitäter Willi Weiss aus der Büsdorfer Strasse, der Bahnbeamte Peter Kindgen ebenfalls aus der Büsdorfer Strasse und nicht zu vergessen Werner Doer/Duer und die Familie Mörs aus Fortuna, von denen der Vater -glaube ich- Dr. Unblutig genannt wurde. Leitender Arzt der Ortsgruppe war Dr. Hugo Dill aus Fortuna,der als Werksarzt beim RWE oder der RAG angestellt war. Mit ihm verband mich bis zu seinem Tode eine lange persönliche Bekanntschaft. Für die Organe des Kreisverbandes Bergheim des DRK hat man sich als junger Bursche wenig interessiert.
Die erste Zeit der neu zu bildenden Jugendgruppe war aktiv mit Erste Hilfekursen und auch Wochenendfahrten ausgefüllt. Diese Fahrten per Fahrrad gingen bis nach Zons am Rhein. Die Vereinsräume befanden sich im Jugendheim und später auch im 1. OG des Feuerwehrhauses. Beides war in der Büsdorfer Straße gelegen. Auch durften wir schon an gemeinsamen Übungen mit den Feuerwehren teilnehmen. Ich erinnere mich noch an eine Übung in der Brikettfabrik Niederaussem und auch an eine andere Übung am Silo des Futterhandels Schreiber in Niederaussem. Hier wurde ich als Unfallopfer geschminkt und vom Silo abgeseilt. Die erste Zeit verlief wegen eines häufigen Wechsels in der Führung der Jugendgruppe unbefriedigend. Ich kann mich an Peter Kremer, einen alten DRKler gut erinnern, dessen Hobby anscheinend die Verbandstechniken waren und der auch auf „im Gleichschritt Marsch" Wert legte. Auch Heinz Herberz versuchte sein Glück mit der Jugend. Seine schmissige und bestimmende Art kam anscheinend nicht sehr gut an. Dann geriet die Jugend in die Hände eines Leiters, dessen Namen ich nicht nennen will, mit um es gelinde auszudrücken homoerotischen Neigungen. Der Skandal und die Aufregung waren nicht gering, als die Sache publik wurde und es drohte eine innere Auflösung der Jugendgruppe des DRK Ortsvereins Oberaussem. Es bestand noch der § 175 des StGB und hier wurde keinSpaß verstanden. Besagter Herr verschwand später ganz aus Oberaussem.
Mit Willi Weiss, + 2005 bekam die DRK Jugend Oberaussem dann einen Leiter, den man als Glücksfall bezeichnen kann. Menschlich und fachlich als Berufssanitäter, musisch, künst- lerisch und organisatorisch begabt, sollte sich Willi Weiss als der Jugendleiter mit Charisma herausstellen, den wir achteten und verehrten. Er sorgte erstmals für eine Ausrüstung und eine Kluft die jungen Menschen angemes- sen war. Die Gruppenabende mit ihm waren lehrreiche Veranstal- tungen und hier gingen wir begeistert hin. Erste Hilfe, Krankentransport, Katastrophen Szenarien, Zusammenarbeit mit der Feuerwehr, Zurechtfinden bei Nacht und Nebel in fremder Umgebung, Geschichte des Roten Kreuzes, deutsche Geschichte, Politik und auch der musikalische Teil kam nicht zu kurz. Willi Weiss und auch Willi Wimmer waren begnadete Musikanten. Der Eine auf der Ziehharmonika und der Andere auf dem Akkordeon. Willi Wimmer war später Dirigent des MGV- Oberaussem und verstarb sehr früh. Und wir haben natürlich auch viel gefeiert. Vereine, Jugendarbeit und Alkohol in Form von Bier war damals ein selbstverständlicher Faktor. Die neuerbaute Gaststätte „Tucher- eck" gehörte zu unseren gastronomischen Favoriten. Ob beim Fußball, im Sportverein, bei Feuerwehr und auch Roten Kreuz wurde nach den Gruppen und Übungsstunden zusammen getrunken.
Hier wurden die vermeintlichen Mannbarkeitsriten noch gepflegt. Ein Mann ist der, der gescheit Bier trinken kann und was verträgt. So war dies zur damaligen Zeit. Leider und dies muss auch angemerkt werden, ist dies nicht allen gut bekommen und einige sind tragisch geendet.
Willi Weiss organisierte Begegnungen mit anderen Ortsverbänden und schickte uns regelmäßig zu Weiterbildungsveranstaltungen z. B. nach Düsseldorf und Köln-Deutz, wo ich des öfteren war. Dort übernachteten wir in den Jugendherbergen. Wir nahmen auch mehrere Male um 1962/63 am Landeswettbewerb aller Jugendrotkreuzgruppen des DRK Nordrhein-Westfalen auf dem Jugendhof Rheinland in Königswinter teil. Hier stellte sich heraus, dies ist den meisten heute nicht mehr geläufig, daß die Jugendrotkreuzgruppe Oberaussem nach Rheinbach, dessen Jugendrotkreuzleiter der damalige Zuchthausdirektor war, zu den „leistungsstärksten Gruppen" in NRW zählte. Hier wurde in Allgemeinbildung, Erste Hilfe , Musik, Geschichte, Theater, Geländekunde usw. geprüft. Wir, die Dorftrampel und Knollebure (Rübenbauern) belegten dort mehrere Male die zweiten Plätze und ließen die großen Stadtverbände wie Köln und Düsseldorf hinter uns. Wir waren im siebten Himmel und hätten Willi Weiss am liebstem zum lieben Gott ernannt. Zu den unvergesslichen Erinnerungen gehörten Sommerferien in der Jugendherberge Wiehl im Bergischen Land. Hier in diesen Fortbildungskursen und auf diesen Fahrten erweiterte sich durch Begegnungen mit fremden Menschen der persönliche Horizont und man begann über den Tellerrand, der da Oberaussem hieß, hinauszuschauen. Auch führten wir einmal eine Transportfahrt von Hilfsgütern ins Auffanglager Friedland an der damaligen Zonengrenze durch Dies waren einschneidende Erlebnisse. Dort kamen wir ins Gespräch mit Flüchtlingen aus der DDR und unter anderem mit einem jungen Mann der aus Horrem/Bottenbroich in die DDR gewechselt war und nun wieder nach Hause wollte. Im Zuge der Rotkreuzarbeit erfüllten wir auch Dienst an der Autobahn Aachen-Köln. Natürlich war das Sanitätswesen mit unzähligen Übungen in Kooperation mit den örtlichen Feuerwehren und der Polizei verbunden. Einmal fand auf der Kippe Fortuna eine Katastrophenübung für den ganzen Kreis Bergheim statt die uns wegen des gewaltigen Fuhrparks und Materialeinsatzes sehr beeindruckte. So geballt und nah hatten wir die neuesten Fahrzeuge von DRK und den örtlichen Wehren noch nie bewundern können.
Es muss um 1964/65 gewesen sein als der DRK Kreisverband Bergheim einen wohlausgerüsteten Katastrophenzug aufstellten wollte, welcher in Fortuna in den Baracken neben dem Wasserturm stationiert werden sollte. Hier hatte nun die Direktion des DRK Kreisverbandes Bergheim die Leitung übernommen und etliche Profilneurotiker, auch aus den eigenen Reihen, setzten sich in Szene. Ein Unwohlsein machte sich damals breit. Wir, die ehemalig autarken Ortsgruppen, kamen nun in den Sog einer straff geführten neu aufzubauenden Organisation. Man versuchte vor allem die Jugend für diese Organisation zu gewinnen. Dies in einer Zeit, als die Jugend aufzubegehren begann und keine alten Autoritäten mehr akzep- tieren wollte. Mit den alten verknöcherten Strukturen, die neu aufgekocht wurden, war keine Jugend mehr zu begeistern. Hier nun setzte ein Prozess der schleichenden Auflösung im damaligen Jugendrotkreuz Ober- aussem ein. Willi Weiss, aus welchen Gründen auch immer, zog sich mehr und mehr aus seiner ehrenamtlichen Tätigkeit zurück. Ob es zu Differenzen mit dem Kreis- oder Ortsverband gekommen ist oder ob seine Gattin mehr Zeit von ihrem Mann einforderte, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Peter Sittel zumindest ist dem Roten Kreuz treu geblieben. Er hat seinen Beruf als Fliesenleger gewechselt und ist Berufs- sanitäter beim Kraftwerk oder dem Tagebau geworden. Die meisten haben sich anderen Vereinen zugewandt, einige sind schon gestorben. So hat es für eine kurze Dauer von Jahren in Oberaussem ein Jugendrotkreuz gegeben, welches in NRW bekannt und der Gemeinde Oberaussem Ehre gemacht hat. Mit Wehmut, Stolz und auch Freude denke ich oft an diese Episoden zurück. Hier war es ein einzelner Mann, Willi Weiss, der seine ganze Freizeit für uns geopfert hat und manchen von uns einen geraden Weg aufgezeigt hat. „Edel sei der Mensch hilfreich und gut". Dieses Motto des Rotkreuzgründers Henri Dunant war für Willi Weiss keine leere Worthülse, nein, er hat es uns vorgelebt und uns mit diesem Gedankengut und seinem Beispiel geprägt.
München den 25. 2. 2006
Gerd Friedt