Die alte Oberaußemer Pfarrkirche auf dem Tonnenberg
Zusammenstellung von Ulrich Reimann 2019
Bis 1884 stand auf dem Oberaußemer Tonnenberg, im Bereich des heutigen alten Friedhofes, nahe der großen Kastanie, die alte, kleine Pfarrkirche St. Vincentius.
Von diesem, gegen über dem Erfttal erhöhten Bergrücken aus, Höhe ca. 110 m ü. N.N., hatte man, bevor die Abraumhalde „Sofienhöhe“ des Braunkohle-Tagebaues Hambach angelegt wurde, bei gutem Wetter, eine traumhafte Fernsicht in Richtung Westen, bis hin zu den Bergzügen der Eifel und über Jülich hinweg in Richtung Aachen.
Diese schöne und auch strategisch ausgezeichnete Lage hatten wohl auch die Römer und die Franken schon erkannt und für ihre Zwecke genutzt. So nahm man eine Zeit lang an, daß der Kirchturm der alten kleinen Oberaußemer Kirche auf diesem Berge, ursprünglich ein ehemaliger römischer Wachturm gewesen sein könnte. Münzfunde aus römischer Zeit in Oberaußem, untermauerten diese Annahme auch. Inzwischen gibt es aber diesbezüglich neue Theorien, die auch recht plausibel erscheinen und aus geschichtlich belegten Daten und alten Dokumenten abgeleitet wurden. Hier sei insbesondere eine Veröffentlichung von Prof. Dr. H. G. Kirchhoff angeführt. Er stellt darin die Frage: „Warum befand sich die einstige alte Oberaußemer Pfarrkirche, hoch oben auf dem Oberaußemer Tonnenberg, heute Friedhof und nicht im Ort selbst?“ Seine Antwort lautet: Sie war älter als das Dorf. Als Kirche eines fränkischen Herrenhofes — wie St. Laurentius in Büsdorf — lässt sie sich in dieser einsamen Höhenlage kaum vorstellen, wohl aber als Burgkapelle. Die Burg auf dem Tonnenberg war sozusagen die Akropolis (wörtlich: Oberstadt) vom damaligen Außem. Nach Auflassung der Burg blieb ihr Turm erhalten und diente wahrscheinlich fortan als Kirchturm für die Capella Oberaußem.
Diese Theorie kann ernst genommen werden, wenn man als Standort der Burg den Tonnenberg annimmt. Hier befand sich nachgewiesenermaßen die alte, 1884 abgebrochene Kirche St. Vincentius mit ihrem Kirchhof. Dieser Platz lag für eine Verteidigung, strategisch gesehen außerordentlich günstig.
Durch eine Senke zwischen Tonnenberg und Oberaußemer Busch führte ein alter römischer Fernweg (heute Reutergasse). Jacob Schneider schildert 1878 die dortige topographische Situation „als Hohlweg, neben welchem der Straßendamm, mit Gebüsch bewachsen, liegt. Der Tonnenberg zeigt als „kegelförmig vorspringender Hügel, auf welchem die alte Kirche (nach der Volkssage der „Heidentempel“) steht, eine völlig geebnete obere Fläche mit ringsum regelmäßig abgeflachten Böschungen“.
Diese „obere Fläche“ ist der heutige Oberaußemer Friedhof; an seiner westlichen Spitze stand die „alte Kirche“, deren Abbruch 1878 begann, in ihrem Kirchhof. Diese Situation ist typisch für eine frühgeschichtliche Fliehburg, und es ist bemerkenswert, dass J. Schneider die „völlig geebnete Fläche“ schon 1878 vorfand, als der heutige Friedhof noch nicht angelegt war.
Dass sich an eine derartige Örtlichkeit alte Sagen knüpfen, ist eine vielerorts zu beobachtende Erscheinung. 1878 war es die außergewöhnliche Lage einer „Kirche auf dem Berg“, die sich nicht in das gewohnte Schema der „Kirche im Dorf“ einordnen und deshalb einen „Heidentempel“ als Vorgänger vermuten ließ — übrigens keine absurde Idee, weil die christliche Heidenmission derartige Umwidmungen geradezu anstrebte.
Bei Josef Dürbaum, gut dreißig Jahre später, ist dann aus dem „Heidentempel ebenfalls der Sage nach, ein „römischer Wachturm“ geworden. Dazu hat offenbar der Augenschein beim Abbruch des Kirchturms 1884 den Anlass geliefert: Nach einer von Dürbaum zitierten Notiz in der Pfarrchronik wies der Turm in seinem unteren Teil ein Mauerwerk von 4 Fuß und 6 Zoll = 1,40 m Stärke auf. Vielleicht hat Schneiders Erkundung der römischen Fernstraßen den Blick der Oberaußemer auf diese Erklärungsmöglichkeit gelenkt.
In den teilweise chaotischen Zeiten des 3. und 4. Jahrhunderts, die durch häufig wiederkehrende germanische Überfälle und Plünderungszüge gekennzeichnet waren, erscheint eine Reaktivierung der Fliehburg auf dem Tonnenberg plausibel.
Vielleicht hat es einen römischen Wachtturm auf dem Tonnenberg gegeben. Aber die Bauweise des „kolossalen“ Turms deutet auf eine jüngere Entstehung. Denn vor dem Abbruch von Alt - St. Vincentius fertigte der Kommunal-Baumeister Müller aus Köln-Deutz 1868 eine Expertise über den schlechten Zustand des Kirchleins an, der er auch einen Grundriss beifügte. Daraus geht die erstaunliche Diskrepanz zwischen dem kleinen einschiffigen frühgotischen Kirchraum (ganze 67 m² für die Gläubigen) und dem mächtigen Turm hervor. Der Befund Müllers enthält ein bemerkenswertes Detail. Er schreibt nämlich: „Die Umfassungen des Turmes bestehen aus Ziegel, Tuffstein und Basalt“. Leider gibt er keine genauere Beschreibung dieses Mauerwerks, aber die Verwendung von Basalt lässt aufhorchen. Denn die - in der Regel fünfeckigen - extrem harten Basaltsäulen widersetzen sich der Bearbeitung durch den Steinmetz und müssen deshalb kopfseitig in einen Mauerverband eingefügt werden. Daraus erklärt sich die enorme Dicke der Turmmauern; sie waren doppelt so stark wie die der eigentlichen Kirche.
Ein bekanntes Beispiel für die frühe Verwendung eines Verbundmauerwerks aus Basalt, Trachyt, Tuff und Backstein bietet am Niederrhein die Barbarossapfalz in Düsseldorf-Kaiserswerth, die ab 1174 errichtet wurde. Dies lässt die Annahme zu, dass der Abt von Kornelimünster, der ja ein königsnaher Reichsfürst war, diese neuartige Befestigungstechnik für einen Burgturm auf dem Tonnenberg übernahm und damit ein deutliches Zeichen seiner Bergheimer Herrschaft setzte. Damit ist eine Bauzeit im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts anzunehmen. Zur Burg gehörte mit Sicherheit eine Burgkapelle, die auch die Funktion einer Gemeindekirche für die Siedlung am Fuße des Tonnenberges übernehmen konnte.
An diesen mächtigen, romanischen Turm wurden dann im Laufe der Jahrhunderte nach und nach Gebäudeteile einer kleinen Kapelle und später einer Kirche angebaut.
Um die kleine alte Kirche herum, dem sogenannten „Kirchhof“ auf dem Tonnenberg, befanden sich wohl seit frühester Zeit, die Begräbnisstätten der Verstorbenen von Oberaußem.
Aufgrund der im 19. Jahrhundert rasch größer werdenden Gemeinde und vor allem wegen der Baufälligkeit der kleinen Kirche, wurde in Oberaußem der Wunsch nach einer neuen Kirche immer größer.
Es gab ja nur das winzige Kirchlein, auf dem Tonnenberg. Aus einer Expertise des Kommunal-Baumeisters Müller aus Köln-Deutz vom 16. November 1868 wissen wir, daß das Kirchenschiff bei einer Höhe von 16 1/2 Fuß, vom Turm bis zum Chor nur 31 Fuß lang und 20 Fuß breit war. Der preußische wie auch der rheinische Fuß maß damals etwa 0,314 Meter. Die Umrechnung ergibt, daß bei einer Länge von 9,67 m und einer Breite von 6,49 m im Kirchenschiff nur ca. 63 qm Raum zur Verfügung stand. Dazu kam noch der Raum unter dem Turm mit etwa 17 qm. Für die damaligen 630 Kommunikanten, bei 950 Einwohnern jedoch reichlich wenig, womit sich die Kirchenbesucher zu begnügen hatten. Und in jener Zeit waren alle Kommunikanten Kirchenbesucher, abgesehen von den Kranken oder Gebrechlichen, die den Aufgang über die sogenannte “Kalfheck“ zur Kirche nicht mehr schafften.
Die hinter dem Chorraum angebaute Sakristei maß auch nur 8 mal 11 Fuß, das waren ca. 8,6 qm. Ein Vorbau vor dem Turm hatte die Funktion eines Windfanges und diente als Eingang für die Gläubigen. Alles in allem hatte das Gebäude eine Gesamtlänge von knapp 28 Metern.
Erwähnenswert ist die kolossale Mächtigkeit des Turmes mit Mauerstärken von mehr als 1,40 m. Die Raumnot in der Kirche war so groß, daß 1863 noch eine Erweiterung der „Oberkirche“ unter Aufsicht des Kirchenmeisters Gottfried Hintzen zur Gewinnung von vier zusätzlichen Kirchenplätzen durchgeführt wurde. Damalige Pläne, die kleine Kirche zu sanieren bzw. zu vergrößern wurden überprüft, aber aus Gründen der Unwirtschaftlichkeit verworfen. Der Beschluß zum Bau einer neuen Kirche wurde von den Oberaußemern dann 1869 gefaßt. Bis zur Umsetzung des Kirchenneubaues vergingen aber noch etliche Jahre.
Unter dem damaligen Pfarrer Theodor Richartz wurde dann aber endlich, nach der Beseitigung vieler Schwierigkeiten, am 1. September 1878 der Grundstein für die heutige neue Pfarrkirche St. Vinzentius von Oberaußem gelegt. Eingeweiht wurde diese dann am 26. Mai 1881 durch den Dechant Erner. Die feierliche Konsekration der neuen Kirche erfolgte am 13. Oktober 1889 durch Weihbischof Dr. Anton Fischer aus Köln.
Aus der alten Kirche wurden die Weihwasserkessel ausgebrochen und in der neuen Kirche wieder eingemauert. Ebenso hat man zu “zwei Maurertagewerken a 2,50 Mark“ den Taufstein in der alten Kirche ausgebrochen und diesen als Wasserbecken in der neuen Sakristei eingemauert. Auch die Kirchturmuhr wurde aus der alten Kirche entnommen und nach einer Reparatur, die Ferdinand Rüntz durchführen ließ, im Turm der neuen Kirche wieder eingebaut.
Zum Thema Abbruch der alten Kirche, kam am 9. März 1886 ein Brief vom für Oberaußem zuständigen Bürgermeister zu Paffendorf an den katholischen Kirchenvorstand zu Oberaußem, zu Händen des Herrn Vorsitzenden Baumann mit folgendem Wortlaut:
Der dortige Gemeinderat hat den Antrag gestellt, es möge vor Ausführung der projektierten neuen Mauer um den dortigen Kirchhof der alte Thurm niedergelegt werden da derselbe derart baufällig sei, daß er einzustürzen drohe, auch könne das alte Material noch theilweise an der neuen Mauer mit verwandt werden. Ich persönlich habe schon früher die Ansicht ausgesprochen, daß nicht allein aus Zweckmäßigkeitsgründen, sondern auch aus Schönheitsrücksichten der alte, jedes Monumentalen entbehrende Thurm am besten beseitigt werden sollte. Daß nun auch jetzt vom Gemeinderath dieses anerkannt wird, freut mich und erlaube ich mir an den Wohllöblichen Kirchenvorstand hiermit die ergebene Anfrage zu richten, ob die Kirchengemeinde der Civilgemeinde den qu. Thurm auf den Abbruch unentgeltlich überlassen will. Eventl. bitte ich um Beifügung einer Abschrift der Verfügung Königlicher Regierung, wonach der Abbruch der alten Kirche mit Thurm genehmigt worden ist. Da ich wünschen möchte, daß im Laufe dieses Sommers die Mauer noch fertig würde, wäre mir eine baldmögliche Antwort sehr wünschenswerth.
Der Bürgermeister von Paffendorf
Commer
Der alte mächtige Turm wurde dann um 1886/87 “niedergelegt“. Im Auftrage der Gemeinde wurde er im Stundenlohn abgebrochen. Von der alten Kirche hat man ein Teil des Kellergewölbes einer Krypta erhalten und als Gruft für verstorbene Geistliche, die in unserer Gemeinde gewirkt haben eingerichtet.
Die nach dem Abbruch der alten Kirche noch verwertbaren Materialien wie Fenster, Chorbelag aus Marmorplatten, brauchbares Holz und Brennholz wurden verkauft. Aus diesem Verkauf wurden etwas über 300 Mark erzielt. Die verwertbaren Feldbrandsteine wurden für die Errichtung der Kirchhofsmauer wieder verwendet.
Der gebürtige Oberaußemer Helmut Zander schreibt im Pfarrbrief 4/1980
Die alte Kirche von 0beraußem
Nur wenige verlässliche Nachrichten sind uns vom Vorgängerbau des heutigen Gotteshauses überliefert.
Das Aussehen lässt sich aus einem alten Druck und zwei alten Beschreibungen annäherungsweise erschließen.
Es handelte sich dabei um eine Kirche, die aus einem einzigen großen Saal von ca. 10 m Länge und etwa 6,5 m Breite bestand, woran Sich im Osten der Chor, dahinter die Sakristei und im Westen ein mächtiger Turm anschloss, dessen Mauer zwischen 1,30 und 2 m stark war.
Um diesen Turm ranken sich einige phantasievolle Vermutungen, (so J. Dürbaum, der in ihm einen römischen Wachtturm sehen möchte,) die jedoch ins Reich der Legenden gewiesen werden müssen, solange nicht neue Erkenntnisse andere Schlüsse zulassen. Wenn die Beschreibungen des vergangenen Jahrhunderts stimmen, ist der Turm als romanisches Gebilde allerfrühestens ins 12. Jahrhundert zu datieren.
Über den Innenraum lassen sich noch weniger genaue Angaben machen als über die Außenansicht:
Vom Hochaltar, der auch schon dem Hl. Vinzentius geweiht war, ist uns noch eine Büste erhalten, die Gott Vater darstellt, doch bleibt das Aussehen des ganzen Altars im dunkeln; die Verwendung von Muschelornamenten, die uns Dechant Steven 1856 überliefert, lässt zwar auf barocke Einflüsse schließen, aber wir wissen einfach nicht, ob der Altar der großen Renovierung von 1730 entstammt; von den Seitenaltären ist uns nur noch bekannt, daß auch sie schon Maria und Anna geweiht waren.
Einige Register der alten Orgel, die sich im Westen auf der Empore befand, erklingen noch heute in der Kirche, und auch die beiden Weihwasserbecken haben die Reise ins neue Gotteshaus mitgemacht.
Schließlich haben sich von der beweglichen Einrichtung als Glanzstücke noch die Statue des Hl. Vinzentius, eine Kasel vom Ende des 15. Jahrhunderts, ein Kelch, sowie einige Kreuze erhalten, wohingegen Heiligenbilder (von Petronius, Antonius und Franz Xaver), Altarleuchter, Kapellen, liturgisches Gerät, Beichtstühle, Altäre, die Kommunionbänke, mittlerweile auch die Sitzbänke - wie vieles andere auch – verschwunden sind.
Die Frage nach dem Grund des Neubaus lässt sich schon an den Maßen der alten Kirche erkennen: Mit ihren 65 Quadratmetern Fläche für die Gläubigen, zu denen nur noch einige Plätze unter dem Turm und auf der Empore kamen, war die Kirche zu klein geworden; dazu kamen Schäden an der Substanz des Gebäudes - am Dach und an dem Mauerverbund -‚ deren Behebung dauernd große Teile des Kirchenhaushaltes beanspruchte, so daß man sich in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entschloss, für die Pfarrgemeinde Oberaußem mit ihren fasst 1000 Seelen einen Kirchenneubau zu errichten.“
700-Jahrfeier Pfarrgemeinde Oberaußem
Quellen:
- Josef Dürbaum, Heimatkunde von Oberaußem von 1912, sowie die Neuauflage Oktober 2000 von Hans-Josef Weck, Hans-Joachim Mörs, Carsten Meyer
- F. W. Noll, Heimatkunde des Kreises Bergheim von 1928
- Christian Kämmerling, 100 Jahre Pfarrkirche St. Vinzentius in Oberaußem
- Jahrbuch des Bergheimer Geschichtsvereins e.V. Band 16, 2007
- Prof. Dr. Hans Georg Kirchhoff, Oberaußem im Mittelalter
- Helmut Zander, Pfarrbrief Nr. 4/1980
- Kölnische Rundschau vom 25. Mai 2006
- Fotos, Karl Peter Decker, Reiner Mühle, Privatfotos
- Layout, neue Texte und Textergänzungen, Ulrich Reimann