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Der Hof und die Brennerei Esser

Ausarbeitung von U. Reimann


Hauptstraße Oberaußem, mit dem Blick auf das landwirtschaftliche Anwesen mit Brennerei der Familie Esser vor 1920. Betreiber waren seinerzeit die Brüder Caspar und Johann Michael Esser. Das Bild befindet sich im Familienbesitz.

 


In Oberaußem existierte bis zum Anfang der 1950ziger Jahre, eine damals sehr bekannte und für ihre hochwertigen Produkte geschätzte Kornbranntwein-Brennerei und Likörfabrik.

Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um einen der ältesten, gebäudemäßig heute z. T. noch erhaltenen Landwirtschaftsbetriebe von Oberaußem.

Josef Dürbaum schreibt in seinem Buch Heimatkunde von Oberaußem, Selbstverlag 1912, S93-94, zu dem Anwesen Esser u.a.:

 

[…] 2. Landwirtschaftliche Nebengewerbe.

Der Aufschwung der Landwirtschaft hatte im Gefolge, daß eine Reihe gewerblicher Nebenbetriebe ins Leben trat. Auch unser Ort war darin nicht rückständig. Bereits in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts befand sich je eine Brennerei in den Gebäulichkeiten der jetzigen Einwohner Kaspar Esser und Martin Schönen zu Oberaußem in Betrieb, welche sich auf die Spiritusfabrikation aus Roggen und Kartoffeln verlegten. Aus den stärkemehlhaltigen Bestandteilen dieser Früchte entwickelt sich der Spiritus oder Alkohol infolge von Gärprozessen. Als Spezialität stellte die Brennerei Schönen in größeren Mengen Pflaumenlikör her, der, wie auch der übrige Branntwein, nach den umliegenden Ortschaften zum Versand gelangte. Um das Jahr 1840 stellte die letztgenannte Brennerei ihren Betrieb ein. Ungefähr um dieselbe Zeit war in den Räumlichkeiten der damaligen Wirtschaft Schönen, später Peiner, eine Brauerei etabliert, die auch einen größeren Teil der hergestellten Biere in der Umgegend absetzte. Sie hat bis um das Jahr 1870 bestanden. Die Brennerei Esser hat unter dem jetzigen Inhaber Kaspar Esser einen bedeutenden Umfang angenommen. Als Spezialität wird dort Oberaußemer Doppelkorn mit hochprozentigem Alkoholgehalt hergestellt, der guten Absatz findet und in größeren Quantitäten verfrachtet wird. Die Brennerei ist jetzt mit Motorbetrieb ausgerüstet und stellt pro Jahr 300 hl Alkohol her. Als Nebenprodukt fabriziert die Brennerei Preßhefe. […]

In einem Oberaußemer Ortsplan von 1822 sind einige Gebäude des Anwesens bereits eingezeichnet.


Im Jahre 1823 findet die Firma Esser erstmals eine aktenkundige Erwähnung. Es wird jedoch vermutet, dass wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt bereits seit 50 Jahren ein Vorgängerbetrieb existiert hatte.

Die ersten Brennereibetreiber in Oberaußem waren wahrscheinlich der um das Jahr 1700 geborene Peter Esser und seine Frau Maria geb. Rosellen. Ihnen folgten ihr Sohn Hermann Esser (* 19.07.1733 Oberaußem, † 09.01.1805 Oberaußem) und seine Ehefrau Elisabeth geb. Brücken. (* 19.01.1736 Oberaußem, † 29.11.1810 Oberaußem). Geheiratet hatten die beiden am 06.05.1764 in der alten Oberaußemer Pfarrkirche auf dem Tonnenberg.

 

Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor:

Peter Esser (* 22.02.1762 Oberaußem, 11.02.1777 Oberaußem)

Magdalena Esser (* 19.01.1765 Oberaußem, )

Johannes Esser (* 20.08.1767 Oberaußem, )

Constantin Esser (* 26.12.1769 Oberaußem, 28.02.1776 Oberaußem)

Wilhelm Heinrich Esser (* 08.10.1772 Oberaußem, 24.11.1857 Oberaußem), verheiratet mit Elisabeth geb. Rüntz (* 23.01.1781 Oberaußem, † 06.01.1814 Oberaußem)

Catharina Esser (* 15.09.1775 Oberaußem, † 26.06.1776 Oberaußem)

Peter Esser (* 15.04.1777 Oberaußem, † 08.11.1795 Oberaußem)


Mitte des 18. Jahrhunderts gehörten zumindestens Teile des landwirtschaftlichen Anwesen mit dem Brennereibetrieb Esser, wohl der Oberaußemer Familie Röbsteck (Reubsteck).

Dies belegt ein erhaltener, im Erdgeschossflur (neben der jetzigen Zahnarztpraxis) des heutigen Wohnhauses an der Bergheimer Straße, zur Zierde und Erinnerung eingebauter alter Eichenbalken. Der Balken wurde aus einem der ursprünglichen, Mitte der 1930ger Jahre, für einen Hausneubau abgerissenen Gebäude übernommen. Er trägt die folgende, eingeschnitzte Inschrift:

 

LAUDE  TUR  JESUS  CHRISTUS

JOSEPHUS  PETRUS  RÖBSTECK

MARGARETA  KÖNIGS  1769

 

Laut Eintrag in den Oberaußemer Kirchenbüchern, hatten Peter Reubsteck und Margarethe König am 21.05.1754 in der Kirche zu Oberaußem geheiratet.


Um die Jahrhundertwende wechselte das Anwesen wahrscheinlich von der Familie Reubsteck, sie war mit der Familie Rüntz verwandtschaftlich verknüpft, in den Besitz von Wilhelm Heinrich und Elisabeth Esser geb. Rüntz. Die beiden heirateten am 08.02.1801 in der kleinen Kirche auf dem Tonnenberg.

Sie übernahmen dann auch den Brennereibetrieb von seinen Eltern, Hermann und Elisabeth Esser geb. Brücken.

Das Ehepaar bekam fünf Kinder:

Wilhelm Esser (* 16.05.1801 Oberaußem, )

Hermann Esser (* 13.02.1804 Oberaußem, )

Michael Esser (* 12.08.1805 Oberaußem, )

Margarethe Esser (* 26.10.1808 Oberaußem, 27.07.1860 Oberaußem)

Jakob Esser (* 09.10.1810 Oberaußem, 20.01.1889 Oberaußem), verheiratet mit Anna Maria geb. Wahn (* 13.01.1809 Oberaußem, † 15.10.1875 Oberaußem)

 

Da seine Frau Elisabeth geb. Rüntz bereits mit 33 Jahren verstarb, heiratete Wilhelm Heinrich Esser am 01.06.1817 ein zweites mal in der Kirche auf dem Tonnenberg, und zwar die aus Wiedenfeld stammende Clara Frambach (* Wiedenfeld, 30.04.1863 Oberaußem).

Die beiden bekamen noch drei Kinder

Magdalena Esser (*18.08.18178 Oberaußem, )

Anna Maria Esser (*01.03.1819 Oberaußem, 10.06.1827 Oberaußem)

Peter Josef Esser (*09.03.1823 Oberaußem, 17.10.1833 Oberaußem)


Ein wahrscheinlich zur Brennereifamilie Esser gehöriger Bierbrauer Peter Esser, war 1846 Schützenkönig von Oberaußem, was ein erhaltenes Schild an der Königskette der St. Vinzentiusbruderschaft belegt.


Um das Jahr 1840 übernahmen Jakob Esser (* 09.10.1810 Oberaußem, † 20.01.1889 Oberaußem) und seine Frau Anna Maria geb. Wahn (* 13.01.1809 Oberaußem, † 15.10.1875 Oberaußem), von seinen Eltern, Wilhelm Heinrich und Elisabeth Esser geb. Rüntz, den gesamten Betrieb (Brennerei, Landwirtschaft und eine Gastwirtschaft) an der Ecke der heutigen Bergheimer- und Büsdorfer Straße. Der Haupterwerbszweig war damals die Landwirtschaft mit erheblichem Landbesitz. Eine kleine Gastwirtschaft und die Brennerei wurden von Jakob Esser zusätzlich als Nebenerwerb betrieben.

Das Ehepaar Jakob und Anna Maria Esser geb. Wahn bekam  vier Kinder:

Elisabeth Esser (* 21.08.1845 Oberaußem, )

Caspar Esser (* 30.03.1848 Oberaußem, 15.07.1914 Oberaußem)

Johann Michael Esser (* 24.06.1850 Oberaußem, 09.12.1935 Oberaußem), verheiratet mit Anna Sibille Hubertine geb. Münchrath (* 01.06.1852, Oberaußem † 28.09.1932 Oberaußem)

Peter Josef Esser (* 12.06.1853 Oberaußem, †)


Unter der Führung von Jakob Esser entwickelte sich der Brennereibetrieb weiter positiv.

Seine Nachfolger auf dem inzwischen großen Anwesen wurden die beiden Söhne Johannes Michael und Caspar Esser.

Johannes Michael Esser und seine Frau Anna geb. Münchrath übernahmen die Betriebsteile Landwirtschaft und Gastwirtschaft.

Caspar Esser, übernahm die Brennerei.

 

Zur Gastwirtschaft Esser schrieb Martin Schneider in seiner Familienchronik:

„[…] In der Wirtschaft von Michael Esser hing hinter der Theke gut sichtbar eine große Tafel. Auf dieser war für jedermann zu lesen, wer Schnaps oder Bier getrunken hatte, ohne zu bezahlen. Als ein Gast Esser darauf aufmerksam machte, dass dies nicht schön sei, meinte Esser, Alkohol wäre nicht unbedingt nötig. Wer kein Geld habe, sollte auch keinen auf Pump trinken. Die Tafel sei ein Erziehungsmittel.

Alle sorgten dafür, dass sie schnellstens von der Tafel fortkamen bzw. nicht darauf kommen würden. […]“


Das Ehepaar Johann Michael und Anna Maria Hubertine Esser geb. Münchrath hatte zwei Kinder:

Anna Maria Esser (* 02.08.1889 Oberaußem, †)

Josef Esser (* 1885 Oberaußem, †1942 Oberaußem), verheiratet mit Maria geb. Zillikens (* 22.11.1895 Oberaußem, † 02.05.1970 Oberaußem)


Beide Betriebe, die seine Eltern schon geführt hatten (Landwirtschaft und Gastwirtschaft), gab Johannes Michael Esser nach dem 1. Weltkrieg auf.

Die Gastwirtschaft wurde geschlossen und der Landwirtschaftsbetrieb wurde verpachtet.


Unter der Leitung von Caspar Esser, nahm die Brennerei einen bedeutenderen Umfang an.

Als Spezialität wurde von ihm der Oberaußemer Doppelkorn mit hochprozentigem Alkoholgehalt hergestellt. Das Produkt fand guten Absatz und wurde in größeren Mengen verfrachtet.

Durch Caspar Esser erfolgte dann auch die Umstellung der Brennerei auf Motorbetrieb. Nun stellte man pro Jahr ca. 300 hl Alkohol her.

Als Nebenprodukt fabrizierte die Brennerei damals noch Presshefe.


Nach dem Tod des kinderlosen Caspar Esser, übernahmen sein Neffe Josef Esser und seine Ehefrau Maria geb. Zillikens die Brennerei.

Josef Esser war ein Sohn von Johannes Michael Esser.

Unter seiner Leitung erlebte die Brennerei Esser einen rasanten Aufschwung. U. a. erfolgte 1920 eine Fabrikations-Erweiterung  auf Liköre. Dadurch wandelte sich die bis dahin landwirtschaftliche Brennerei in einen gewerblichen Betrieb.

Da um diese Zeit die vorhandene Apparatur dem Leistungsbedarf des Betriebes nicht mehr gerecht werden konnte, wurde modernisiert. Das erbrachte eine Verdreifachung der Produktionskapazität.


Noch vor dem II. Weltkrieg ließen Josef und Maria Esser geb. Zillikens das alte Wohnhaus des Anwesens an der Hauptstraße abreißen. An seine Stelle bauten sie 1939  das heute noch stehende große Backsteinhaus.


Ein ebenfalls noch erhaltener, im Flur des heutigen Wohnhauses zur Zierde und Erinnerung eingebauter Eichenbalken, trägt die folgende eingeschnitzte Inschrift:

 

NEUGEBAUT  1939

JOSEF ESSER  u.

MARIA  GEB.  ZILLIKENS


Das Ehepaar Josef und Maria Esser geb. Zillikens hatte fünf Kinder und 14 Enkel:

Wilhelm Esser (* 1922 Oberaußem, † 1975), verheiratet mit Isolde geb. Stauff (* 1921, † 1992), drei Kinder: Ingeborg Gößwein geb. Esser * 1945, Dieter (Bubi) Esser  * 1949, Ruth Esser *1950,

Peter Josef Esser (* 1924 Oberaußem, † 2016), verheiratet mit Anni geb. Rütten (* 1929, † 2009), vier Kinder: Karl Josef Esser * 1951, Evita Metzen geb. Esser * 1952, Klaus Simon Esser * 1955, Manfred Walter Esser * 1961,

Jakob Esser (* 1926 Oberaußem, † 2005), verheiratet mit Marga geb. Hackländer (* 1925, † 2016), zwei Kinder: Ernst Peter Esser * 1954, Dagmar Esser * 1958,

Annamarie Piel geb. Esser (* 1928 Oberaußem, †), verheiratet mit Wilhelm Piel (* 1917, † 1991), drei Kinder: Angelika Franziska Held geb. Piel * 1953, Vera Anna Piel-Nicklisch geb. Piel * 1955, Susanne Katharina Henocque-Piel geb. Piel *1957,

Josefine Ohrzal geb. Esser (* 1929 Oberaußem, † 2021), verheiratet mit Walter Nicolaus Ohrzal (* 1918, † 1964), zwei Kinder: Marion Julia Ohrzal * 1952, † 2019, Ingrid Ohrzal * 1954,


Nach dem Tode von Josef Esser 1942, führte dessen Frau Maria, mit ihren drei Söhnen  Wilhelm, Jakob und Peter Josef, die Brennerei weiter.

 

Das Absatzgebiet, das sich bis zum Kriegsbeginn 1939 verhältnismäßig eng im Kreis Bergheim selbst und auf die Randgebiete erstreckte, konnte nach der Währungsreform aufgrund der Qualität der Erzeugnisse erweitert werden, nachdem im Kriege und in den Nachkriegsjahren die be­wirtschaftete Ware nur als hochprozentiger Sprit zu fertigen war.

 

1949 erfolgte die Inbetriebnahme einer weiteren Brennerei auf dem Anwesen Esser.

In beiden Brennereien wurde ein hochwertiger Kornsprit erzeugt und nur dieser wurde zur Herstellung trinkfertiger Produkte verwendet und bot die Garantie für Qualitätsware.

Den Slogan: “Mit Schnaps von Esser geht’s Dir besser“, konnte man überall vernehmen.

 

Die Brennerei mit ihren ehemaligen Nebenbetrieben war für das damalige Oberaußem stets ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Zahlreiche Oberaußemer Bürger fanden dort Arbeit.

Die Brennereiarbeiter erhielten zusätzlich zum Lohn auch eine tägliche Ration Schnaps zum Eigenverbrauch. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Brennerei, „Fibbes“ Esser, erinnerte sich gerne an seine dortige Zeit. Er sagte u.a., dass so manch einer der Mitarbeiter abends doch recht mühsam den Weg nach Hause fand.

 

Die Erzeugnisse der Brennerei waren zu ihrer Blütezeit weit über die Grenzen von Oberaußem bekannt und genossen ein hohes Ansehen ob ihrer sehr guten Qualität.

 

Der Familienbetrieb Esser geriet aber trotz seiner guten Produkte, nach dem 2. Weltkrieg, durch interne Familienprobleme und die allgemein schlechte Zeit, in erhebliche Schwierigkeiten.

 

Viele ehemalige Stammkunden brannten damals ihren Schnaps, den legendären „Knolly Brandy“, zu Hause selbst. Das war zwar streng verboten, doch kaum einer kümmerte sich darum. In vielen Häusern tropfte dieser, aus Zuckerrüben gebrannte „edle Tropfen“, aus den meist selbstgebauten Destillationseinrichtungen. Zum Bau der Brennapparate verwendete man u. a. die damals häufig herumliegenden alten Geschosskartuschen aus dem 2. Weltkrieg.

 

Die Familie Esser versuchte einiges um den angeschlagenen Betrieb zu erhalten. Um das Abfallprodukt der Spritherstellung, die sogenannte Schlempe, nutzbringend zu verwerten, wurde 1949 sogar der bis dahin verpachtete landwirtschaftliche Betrieb wieder in eigener Regie geführt.


Im Jahr 1951 kam das Unternehmen aber in sehr große Zahlungsschwierigkeiten und als Folge dessen, kam das gesamte Anwesen zum Zwangsverkauf. Die Brennerei und die Landwirtschaft Esser gingen damit unwiderruflich außer Betrieb.

Vorher hatten die damaligen Inhaber das zum Betrieb gehörende gesamte Ackerland, ca. 50 Morgen, an die Braunkohle verkauft.

Käufer der Brennerei selbst, nebst dem Wohnhaus, war eine landwirtschaftliche Genossenschaft aus Ameln.

Das restliche Eigentum kauften anteilig die Oberaußemer Geschäftsleute Mathias Paus, Hans Weiß, Gerhard Müsch und Toni Vogt.

Nach dem Abriss einzelner alter Gebäudekomplexe der Brennerei, u.a. eines der Wahrzeichen von Oberaußem, der weithin sichtbare hohe Schornstein, entstanden durch die o.g. neuen Besitzer an dieser Stelle zum Teil neue Häuser mit Geschäften, Wohnungen und Lagerräumen.


Im Zusammenhang mit der Brennerei erscheint hier noch folgendes erwähnenswert.

In einem zur Brennerei Esser gehörenden ehemaligen Hause, das an der Stelle stand, wo sich später das Konsum befand, danach das Geschäft Ihr Platz, heute eine Pizzeria, war vor dem Krieg noch die alte Metzgerei von Jean Odenthal untergebracht, bevor dieser an der Ecke Haupt- Büsdorferstraße, direkt gegenüber von der Brennerei, eine eigene Metzgerei erbaute.

Nachdem Jean Odenthal, der keine Kinder hatte aus Altersgründen seinen Beruf Anfang der siebziger Jahre aufgegeben hatte, übernahm der Metzger Hans Scheiffarth aus Fliessteden den Betrieb. Heute ist die Metzgerei zum Wohnhaus umgebaut und beherbergt ein kleines Reisebüro.


Kurze Zeit bevor die Brennerei aufgegeben wurde gab es 1950 noch einen Besuch von einem Reporterteam der Kölnischen Rundschau. Der aus diesem Besuch resultierende Artikel war eigentlich noch recht locker und optimistisch geschrieben und ließ nicht erahnen, dass der Traditionsbetrieb in Kürze für immer geschlossen würde.

So schrieb die Kölnische Rundschau in der Ausgabe vom 29. Juli 1950 folgenden Bericht zur alten Kornbranntwein-Brennerei in Oberaußem.

 

Eine Fahrt ins „Blaue“

Zur Kornbranntweinbrennerei in Oberaußem. „Wenn jemand eine Reise tut ...“ Wem stiegen nicht Traumbilder von blauen Fernen, blauen Bergen und Meeren auf? Unsere Reise führte uns wenige Kilometer vom Redaktionstisch auch ins Blaue, ins Blaue an sich sozusagen. Die Kornbranntweinbrennerei Esser in Oberaußem war unser Ziel. Und hier, am Ziel, - welch ein Widersinn - wieder Ausgangspunkt der Reise, einer Traumreise allerdings: auf den Flügeln des Münsterländers ins Westfalenland, mit einem Schuß Hamburger Tropfen an die Wasserkante, Curacao-beflügelt an ferne blaue karibische Gestade.

Apropos blau! - Noch lassen wir uns nicht vom Alkohol ins Traumland entführen. Noch wandern wir mit gezücktem Bleistift durch den Betrieb, um recht viel von der Herstellung des männermordenden Stoffs festhalten zu können.


Rohbranntgerät und Brennblase

Ansonsten jedoch sind die schwarzbrennenden Zeiten vorbei. Wir dürfen uns vom „Knolly Brandy“ distanzieren. „Schnaps vom Esser schmeckt dir besser“ - denn sein Ausgangsstoff ist nicht die profane Rüben, sondern edler Roggen, der zur besseren Überwachung gleich staatlicherseits zugeteilt wird. Auf dem Boden lagert er in großen Mengen, wird in einer dampfbetriebenen Mühle verschrottet, im Vormaischbehälter mit Malz verzuckert und unter Zusatz von Hefe dem Gärbottich zugeführt. Den weiteren Verlauf kann man in wenigen Stichworten zusammenfassen: das Brennen im Rohbrandgerät, der Kühlvorgang, das Sammeln des nun 70-prozentigen Alkohols in besonderen, wieder plombierten Behältern. Rückführen in die Brennblase, wo der Alkohol seine Gebrauchsprozente erhält.

Sauber geht es in so einer Brennerei zu, das muß man sagen. Steinböden und Eisentreppen jederzeit schrubbfeucht, sehr zum Leidwesen des kreppbeschuhten Reporters, der auch ohne Alkoholgenus kaum die Balance zu halten weiß. Wir sind froh, als wir endlich im tiefen Keller gelandet sind, in der Zauberküche, in der der Alkohol durch die Beimengung der verschiedensten Essenzen in Likör, Weinbrand, Korn und Wachholder - verschnitten wird. Hier, im tiefen Keller, wird uns eine vergnügliche Lektion erteilt, eine kleine Branntweingeographie. Die Reise geht ins Münsterland (siehe oben!), zum Ostseestrand (Danziger Goldwasser), in den Schwarzwald (Kirschwasser) und in alle Richtungen des menschlichen (Wohl-) Geschmacks: „Kakao mit Nuß“ prangt in sauberen Etiketten auf den verlockenden Flaschen, „Orange“, „Mokka-Kirsch“, „Vanille“, „Pfefferminz“, „Kirsch mit Rum, „Anisett“, „Zitrone“, „Cherrybrandy“.

 

Hier wird der „männermordende“ Stoff eingefüllt.

Eine erlesene Folge köstlicher Liköre! Eine Kostprobe von allen genügt, den reiseseligen Geist an ferne blaue Gestade zu entführen.

Von dieser „Entführung“ lasst mich nicht reden. Sie gehört nicht zum Thema. Zum Thema gehört noch, daß die sauber etikettierten Flaschen wohlverpackt in die nähere und weitere Umgebung verschickt werden. Rheinland und Westfalen sind die wesentlichen Absatzgebiete. Zum Thema gehört auch, daß die nichtseligmachenden Abfallprodukte, die die Schlempe bilden, gleich an Ort und Stelle an einige zwanzig Kühe verfüttert werden. Vom Schnaps zur Milch! - Schließlich sei noch vermerkt, daß der etwa 30 Meter hohe Schornstein Wahrzeichen eines Betriebes ist, der sich seit 1823 im Familienbesitz befindet. Um diese Zeit wurde die frühere Brauerei, deren Entstehung sich im Dunkel der Zeit verliert, in eine Brennerei umgebaut. Sie hat alle Stürme der Zeit überdauert, zwei Weltkriege, eine Teilzerstörung als Folge des letzteren, und die branntweinlose, die schreckliche Zeit. Stoßen wir also alle, die wir uns gelegentlich einen „Alten Oberaußemer“ genehmigen, an auf weitere 125 Jahre ihres Bestehens!

 

 

Über das Ansehen und die Beliebtheit der Erzeugnisse der ehemaligen Brennerei Esser gibt auch eine Textpassage im Oberaußemer Heimatlied „Lev Overoßem“ Zeugnis ab.

So heißt es im Refrain aller Strophen u.a. „Lecker Schabäusche wieht he gemaat“.

 

Dieses vom Oberaußemer Urgestein Martin Schneider ursprünglich getextete, schöne und in der Ortsbevölkerung sehr beliebte Lied, erklingt oft bei Festen und Feierlichkeiten in Oberaußem.

 

Das Lied beschloß über viele Jahre hinweg, traditionsgemäß den jährlichen Bunten Abend des Männergesangvereins Erholung.

Bis zu seinem Tod 2015, wurde es meist von Fibbes Esser als Solist, mit dem Chor und allen Besucher dieses Abends gemeinsam zum Ende der Gesangsdarbietungen gesungen.

 

Heute befinden sich auf dem Gelände der ehemaligen Brennerei, z.T. in den ursprünglichen, noch erhaltenen, später umgebauten Gebäudeteilen sowie in errichteten Neubauten, Geschäfte, eine Zahnarztpraxis und Wohnungen.

Die große noch vorhandene alte Scheune des ehemaligen Hofes Esser wird heute als Abstell- und Lagerhalle genutzt.

 

Mit der Auflösung und dem Verkauf des alten Betriebes Esser, verschwand leider ein für Oberaußem historischer und auch einst wirtschaftlich bedeutender Ortsteil.


 

 

 

 

Quellen:

Josef Dürbaum, Heimatkunde von Oberaußem, sowie die Neuauflage Oktober 2000 von Hans-Josef Weck, Hans-Joachim Mörs, Carsten Meyer

Kirchenbücher Pfarre St. Vinzentius Oberaußem, 1727-1891

Christian Kämmerling, 100 Jahre Pfarrkirche St. Vinzentius in Oberaußem

Schwarzweisfoto: Privatfoto Oberaußemer Bürger

wisoveg.de

Familienchronik von Martin Schneider, Oberaußem

Stammbaum von Karl Josef Esser, mit Familienfotos

Seitenlayout, Fotos,Textergänzungen und neue Texte: Ulrich Reimann 2021