Die einstige Bergarbeitersiedlung Fortuna
Ausarbeitung von Ulrich Reimann, November 2007
Vorwort
Die einstige kleine Bergarbeitersiedlung Fortuna, mit ihren schönen Alleen, den großen Gärten mit altem Obstbaumbestand und den teilweise beeindruckenden Gebäuden wie Schule, katholische Kirche, Wasserturm, Bahnhof, Kasino u.a. mußte Mitte der 1980ger Jahre dem „Braunkohlentagebau Bergheim“ weichen.
Der Ort verdankte der hiesigen Braunkohlenindustrie seine Entstehung, die rasante Aufwärtsentwicklung von den Anfangsjahren bis Mitte der 60ger Jahre und leider auch, wie bereits erwähnt, zum großen Leidwesen vieler seiner Bewohner, seinen Untergang. Die Ortsgeschichte von Fortuna dauerte nur etwa 85 Jahre. Vielerorts war Fortuna für das tolle Zusammengehörigkeitsgefühl seiner Einwohner bekannt und die dort lebenden Menschen wurden oft darum beneidete. Für viele „Fortunesen“, so wurden die Einwohner von Fortuna von vielen genannt, war der Abriß ihres Heimatdorfes ein schmerzhafter Verlust.
Nachfolgend soll hier nun die Geschichte des einstigen Bergarbeiterortes Fortuna etwas detaillierter geschildert werden. Damit beabsichtigt der aus Oberaußem stammende Autor, einstigen Fortunesen und anderen an diesem Thema interessierten Leuten eine Möglichkeit zu bieten, die kurze Geschichte des Ortes, mittels einer zusammenfassenden schriftlichen Ausarbeitung, Revue passieren zu lassen oder kennen zu lernen, wobei an dieser Stelle auch ausdrücklich auf bereits vorhandene Werke hingewiesen wird.
Die Ausarbeitung soll jedoch keine wissenschaftlich exakt erarbeitete Aufarbeitung der Ortsgeschichte von Fortuna sein, sondern ist als lockere Zusammenfassung wesentlicher Ortsdaten, Ereignisse, Anekdoten, persönlicher Erlebnisse und Erfahrungen zu sehen, wobei der Umfang der einzelnen Informationen ohne Wertigkeit zustande gekommen ist. Es wurden ganz bewußt bereits an anderen Stellen publizierte Informationen, teils auch wortgetreu, hier eingearbeitet, deren Herkunft im abschließenden Quellenverzeichnis hinterlegt wurde. Natürlich besteht die Möglichkeit diese Zusammenfassung bei Erfordernis, jederzeit zu korrigieren und natürlich auch sie zu ergänzen. Zusatzinformationen bzw. auch Kritik sind erwünscht und werden vom Autor auch gerne entgegengenommen.
Allgemeines zu Fortuna
In der Nähe des Klosters Bethlehem lag bis Mitte des 19. Jahrhunderts die kleine, zu Oberaußem gehörende Ansiedlung Urwelt. Dieser Weiler bestand 1861 nur aus einem Haushalt mit 5 Personen. Es war die Keimzelle des späteren Bergarbeiterortes Fortuna. 1895 zählt man zwanzig Einwohner.
Der seit Mitte des 19. Jahrhunderts in unmittelbarer Nähe von Oberaußem stattfindende Abbau der Braunkohle entwickelte sich rasant. Es entstand die Gewerkschaft Fortuna, die den Kohleabbau forcierte und kommerzialisierte.
Das hiesige Landratsamt notierte für die Belegschaft der Gewerkschaft Fortuna (später Grube-Fortuna) für das Jahr 1898 bereits:
Arbeiter unter 16 Jahren: 7
über 16 Jahren: 110
weibliche: 4
gesamt: 121
Die Beschaffung von Arbeitskräften wurde schnell zum Problem. Damit auswärtige Arbeiter herangezogen werden konnten, baut die Gewerkschaft in den Jahren 1898 und 99 als erstes neben drei „Beamtenwohnungen“ eine Cantine, an die Schlafsäle mit insgesamt 170 Betten angeschlossen waren. Die Leute bezahlten für Logis und Verpflegung 1,05 Mark pro Tag. Der Bau von Arbeiterwohnungen wurde in Aussicht genommen.
Man warb Menschen aus den Ostgebieten des Reiches an, es kamen aber auch Leute aus Holland, Belgien, Österreich und Italien. Daß Vorurteile schon damals bestanden, sieht man an der Bemerkung von Josef Dürbaum in seiner „Heimatkunde der Gemeinde Oberaußem“: „Vielfach sind die ausländischen Arbeiter bewaffnet und es ist deshalb nicht gut mit ihnen anbinden. Jedoch hat unser Ort durch Ausschreitungen fremder Elemente nicht zu leiden gehabt.“
Durch den plötzlichen Zustrom fremder Arbeitskräfte, der mit der Errichtung der Brikettfabriken im Jahre 1898 einsetzte, entstand in den umliegenden Ortschaften bald großer Wohnungsmangel. Den Verantwortlichen der Gewerkschaft-Fortuna war schnell klar, daß man für die angeworbenen Arbeiter auch entsprechende Wohnmöglichkeiten bieten mußte.
Um das Jahr 1899, etwa zusammen mit dem Kauf des Klosters Bethlehem durch den Orden der Elisabetherinnen aus Essen, wurde dann von den Verantwortlichen der Braunkohlenbetriebe, der Grundstein für die Arbeitersiedlung „Fortuna“ gelegt.
Infolge des Aufblühens der Braunkohlenindustrie um die Jahrhundertwende, wuchs der kleine Ort rasch. Die Werksleitung der Grube-Fortuna faßte deshalb schon um 1900 den Entschluß, die in unmittelbarer Nähe ihrer Betriebe befindliche, kleine Siedlung zu erweitern und als reinen Bergarbeiterort mit dem Namen „Fortuna“, was Glück bedeutet, für ihr Personal fest zu etablieren. Fortuna wurde Ortsteil von Oberaußem und gehörte damit zur Bürgermeisterei Paffendorf. Der Ort wuchs rasch. 1910 hatte der Ort Fortuna bereits 465 Einwohner. Wie wichtig der Bau von Wohnraum war, wird aus der Entwicklung der Belegschaftszahlen ersichtlich: 1898 = 121 Arbeiter, 1900 = 483 Arbeiter
Bis zum Jahre 1914 wurden von der Grube-Fortuna AG an der Bethlehemer- und an der Grubenstraße, 21 Häuser mit 45 Wohnungen und von Privatleuten 10 Häuser mit 15 Wohnungen errichtet, in denen 60 Belegschaftsangehörige = 8 Prozent der damaligen Belegschaft untergebracht waren.
An dieser Stelle möchte der Autor es nicht versäumen, auf die großen Verdienste der Bedburger Industriellenfamilie Silverberg im Zusammenhang mit der Entstehung und erfolgreichen Entwicklung von Fortuna hinzuweisen.
Der Kommerzienrat Adolf Silverberg, und sein ihm nachfolgender Sohn Dr. jur. Dr.- Ing. E.h. Dr. rer. pol. h.c. Paul Silverberg, hatten als tatkräftige Männer bei der industriellen Erschließung und der Vermarktung der hiesigen Braunkohle die entscheidenden Impulse gegeben und für deren Umsetzung gesorgt. Die Betriebe der Fortuna-Grube wurden von beiden maßgeblich in höchstverantwortlichen Stellungen geprägt und mitgeführt. Ihr soziales Verantwortungsgefühl kam auch in der Geschichte des Ortes Fortuna stets zur Geltung. „Der Doktor“, wie Paul Silverberg in Fortuna immer bezeichnet wurde, erlangte schnell einen großen Bekanntheitsgrad. Aufgrund seiner fürsorglichen Art gegenüber allen Mitarbeitern der Betriebe und den Bewohnern der zu Oberaußem gehörenden Kolonie Fortuna, war er außerordentlich beliebt. So hatte er maßgeblichen Anteil an der Einrichtung einiger für den kleinen Ort so wichtiger Institutionen wie z. B. neue zweiklassige Schule, Kindergarten und katholische Kirche.
Bereits im Jahre 1899 war in Fortuna, von der Grube Fortuna AG ein Werks-Cantinengebäude mit Schlafräumen gebaut worden. 1903 entstand von privater Seite der „Gasthof Glückauf“ mit einem großen Versammlungs- und Festsaal.
Bis zum Jahre 1904 besuchten die Kinder aus Fortuna die alte Schule in Oberaußem auf der Kirchstraße. Im Jahre 1904 waren die Klassen in Oberaußem aber derart überfüllt, dass Fortuna eine eigene kleine Volksschule erhielt. Man erbaute 1904 mit Hilfe der Fortunagrube ein Schulgebäude mit zwei Schulsälen, um den Kindern den beschwerlichen Weg nach Oberaussem zu ersparen. Dieses Gebäude wurde am 5. Dezember 1904 bezogen. Die Gewerkschaft Fortuna hatte das Schulgebäude nebst Lehrerwohnung auf ihre Kosten errichtet und der Gemeinde geschenkt. Die Reinigung und Beheizung der Schule übernahm das Werk, die Gemeinde besoldete die Lehrer. 1906 wurde das Schulgebäude der Gemeinde übereignet.
Der Bedeutung des Ortes wurde mit der Einrichtung einer Bahnstation 1913, mit dem schönen, recht großen Bahnhofsgebäude „Fortunagrube“, Rechnung getragen.
Mit dem Beginn des 1. Weltkrieges begann auch für Fortuna ein schwierige Zeit. Voller Enthusiasmus und Zuversicht waren auch die jungen Männer von Fortuna in den Kampf gezogen. Schnell merkte man aber was es wirklich hieß Krieg zu führen. Über viele Fortunesen brach Not und Elend herein und manch ein junger Fortunese kam nicht mehr nach Hause zurück. Die Ortsbevölkerung mußte auch Kriegsanleihen zeichnen, die insgesamt wohl weit über die Summe von 300.000 RM hinausgingen. Die Schulkinder von Fortuna sammelten über 5.000 RM für den Krieg.
In Fortuna waren in der Zeit des 1. Weltkrieges auch Kriegsgefangene in einem Lager untergebracht. Bis 1917 handelte es sich dabei ausschließlich um Russen. Später kamen Belgier, Italiener und Franzosen hinzu. Sie arbeiteten alle in der Braunkohle bei der Grube-Fortuna. Von den Fortuna-Gefangenen starben zwischen 1915 und 1918 6 Russen, 3 Italiener und 1 Franzose. Sie wurden alle, auf einem von der Gemeinde auf dem Oberaußemer Friedhof eingerichteten, sogenannten Ehrenfriedhof beerdigt. Nach dem Krieg wurden die sterblichen Überreste der drei Italiener auf einem Ehrenfriedhof in Köln beigesetzt, die des Franzosen brachte man zurück in seine Heimat. Die Gräber der Russen mit den in russischer Sprache beschrifteten Grabsteinen sind noch heute auf dem Friedhof von Oberaußem erhalten und werden auch von der Stadt in Ordnung gehalten.
Während des I. Weltkrieges entstanden an der Bethlehemer- und Giersberg-Straße 15 weitere Wohnhäuser.
Nach dem verlorenen I. Weltkrieg, rückten am 27. Januar 1919 auch in Fortuna Britische Besatzungstruppen ein. Währen der Besatzungszeit hatte die Bevölkerung einiges zu ertragen. Die Engländer führten sich wie die Herren auf und belegten den Ort mit einer Vielzahl von Befehlen, Anordnungen und Verboten. Der Befehlshaber der Truppen war ein englischer Oberst, der gegenüber der Bevölkerung ein sehr strenges Regime führte. Er ließ den damaligen Gemeindevorsteher von Oberaußem-Fortuna, Johann Nicolin, des öfteren bei sich antreten um ihm mit kurz gehaltenen, militärischen Befehlen seine Wünsche zur Verhaltensweise der Ortsbewohner mitzuteilen. Er achtete penibel unter stetiger Androhung von Strafen, auf die Umsetzung seiner Befehle in der Gemeinde. So waren u.a. jeden Morgen alle Orts-Straßen zu kehren, Papierschnitzel waren aufzuheben. Angefallener Stallmist durfte nicht mehr auf den Misthaufen gelagert werden sondern mußte jeden Morgen ins Feld gefahren werden. Nach 21 Uhr durfte kein Bürger ohne Nachtpaß auf der Straße sein und nach 23 Uhr war es verboten in den Häusern die Beleuchtung einzuschalten. Das Casino war von einem Stab höherer englischer Offiziere besetzt.
Die Engländer blieben bis Ende August 1919. Ihr Abzug bedeutete eine große Erleichterung für die teilweise schikanierte Bevölkerung des Ortes. Die Besatzer des Casinos hatten beim Abzug, laut Aussagen von Einwohnern, das gesamte Mobiliar mitgenommen. Es war aber auch nicht auszuschließen, daß die mehrere tausend RM teuren Möbel von Einheimischen entwendet wurden.
Die am 1. März 1919 erfolgte allgemeine Einführung der achtstündigen Arbeitszeit in Deutschland und damit auch in den hiesigen Braunkohlenbetrieben, brachte eine Belegschaftserhöhung mit sich, was einen weiteren Ausbau der Siedlung Fortuna erforderte. In den Jahren bis 1923 wurden daraufhin die Bethlehemer Straße bis zur Bahnstrecke Bergheim - Rommerskirchen, die Mittelstraße, Kentener Straße und die Schlageter-Straße ausgebaut. Außerdem baute die „Wohnungsbaugesellschaft im Rheinischen Braunkohlen-Revier“ in den Jahren 1920 bis 1922 im Anschluss an die Fortuna-Siedlung ein Arzthaus, ein Konsumgebäude mit einer Wohnung und 75 weitere Wohnungen. 1927 zählt man 1.400 und 1928 bereits 1.481 Einwohner in Fortuna.
Nach dem ersten Weltkrieg, wuchs in Fortuna die Schülerzahl beständig an wodurch auch das Lehrerkollegium vergrößert werden mußte. Die Kolonie hat 1921 bereits etwa 200 Schulkinder. 1921 war von der Gemeinde Oberaußem ein neues, mehrklassiges größeres Schulgebäude errichtet worden. Die Volksschule Fortuna hatte über die meiste Zeit nach 1921 ein eigenständiges Rektorat. Erster und auch langjähriger Leiter der neuen Schule war der Rektor Kolf gewesen.
Getreu der bergmännischen Tradition waren auch im Fortuna der Anfangsjahre viele Menschen christlichen Glaubens. Man besuchte die heilige Messe im nahen Kloster Bethlehem. Fortuna gehörte zur Kirchengemeinde Oberaußem. Doch recht früh kam bei der kath. Ortsbevölkerung der Wunsch nach einer eigenen Kirche auf. Der damalige Oberaußemer Pfarrer Werner Leuchter akzeptierte diesen Wunsch und unterstützte ihn dann auch. Bereits im Jahre 1908 wurde ein Kirchenbauverein gegründet.
Leider war es eine schlechte Zeit für solche Vorhaben. Der I. Weltkrieg und die darauf folgenden schwierigen Jahre brachten die großen Pläne immer wieder zum Erliegen.
Es dauerte noch bis zum 12. April 1921 ehe die Verwirklichung der Kirchenbaupläne konkrete Formen annahm. An diesem Tag traf sich der damalige Vorstandsdirektor der RAG, Dr. Paul Silverberg mit Vertretern des Kölner Erzbistums im Kloster Bethlehem, wobei man sich fest vornahm den Bau einer Kirche in Fortuna in die Tat umzusetzen.
Der erste Spatenstich für die neue Kirche erfolgte trotz erheblicher, überwiegend finanzieller Schwierigkeiten, am 15. September 1922.
Die offizielle Grundssteinlegung erfolgte am 12. November 1922 unter Anwesenheit des Kölner Kardinals Schulte.
Am 13. April 1923 wurde Rektor Heinrich Meurers, als erster Pfarrer der neuen Kirchengemeinde Fortuna, feierlich in sein Amt eingeführt.
Am 10. Juni erfolgte die feierliche Glockenweihe und am 7. Oktober 1923 ging der langgehegte Wunsch vieler Fortunesen in Erfüllung, die feierliche Konsekration (Einweihung) der neuen Kirche „St. Barbara“ durch den Kölner Kardinal Schulte.
Ebenfalls mit Unterstützung der RAG wurde in Fortuna 1920, im Gebäude der einstigen Werkskantine ein Kindergarten eröffnet. Die Leitung des Kindergartens wurde von Schwestern des Klosters Bethlehem übernommen. Nach 19 Jahren, in denen jährlich bis zu 80 Kinder dort in vorbildlicher Weise betreut worden waren, wurde der Kindergarten 1939 von den Nationalsozialisten geschlossen. Die damalige Kreisleitung der NSDAP hatte nach einem Besuch des Kindergartens erklärt, man erkenne zwar die gute Leistung der Kindergärtnerin an, aber es sei unmöglich, daß katholische Schwestern einen Kindergarten im Sinne des Nationalsozialismus führen können. Erst nach dem Ende des Krieges übernahmen die Schwestern wieder die Kindergartenleitung in Fortuna. Man kann sagen, daß mit Ausnahme im Zeitraum 1939 – 1945, fast die gesamte Fortunajugend durch den Kindergarten gegangen ist und von den vom Kloster Bethlehem vorgegebenen Betreuungs- und damit auch Erziehungsrichtlinien betroffen war, was wohl im nachhinein gesehen auch keinem so richtig geschadet hat.
Aufgrund der gemischten Bevölkerungsstruktur in Fortuna hatte sich auch recht schnell eine evangelische Gemeinde im Ort gebildet. Im freigewordenen Gebäude der einstigen Werkskantine der Grube-Fortuna stellte man den Evangelischen Christen Räumlichkeiten zur Verfügung. Sie richteten sich dort den sogenannten „Betsaal“ ein.
Die evangelische Gemeinde Fortuna, die zum Pfarrbezirk Zieverich gehörte, hatte zusammen mit der evg. Gemeinde Bergheim einen damals recht bekannten Kirchenchor, der bereits am 11. Februar 1906, unter der Leitung des Pfarrers Herzog und des Kanalinspektors Müller, er wurde auch erster Vorsitzender und Dirigent, im einstigen Bergheimer Lokal Cossmann gegründet worden war
Von der ehemaligen RAG wurde 1935 das neue „Kasino Fortuna“ gebaut. Einige Geschäftsleute und Gewerbetreibende nahmen die Entwicklung Fortunas zum Anlaß, sich hier ebenfalls anzusiedeln. Im Laufe des Jahres 1935 ist der im Jahre 1920 in den Besitz der RAG gelangte Gasthof Glückauf abgebrochen und durch eine neue Werksgaststätte („später Kasino Windgens“) ersetzt worden. Mit Eröffnung dieser Gaststätte am 1. Januar 1936 wurde die alte Werkskantine von 1899 mit dem angeschlossenen Casino geschlossen. In diesen freigewordenen Räumlichkeiten wurden fünf Wohnungen, ein geräumiger Kindergarten und ein Gottesdienstraum für den evangelischen Teil der Fortuna-Belegschaft errichtet.
Zum Anfang des Jahres 1937 waren in der Siedlung Fortuna 226 werkseigene Wohnungen der RAG und 77 Wohnungen der WBG (Wohnungsbaugesellschaft) vorhanden, in denen insgesamt 312 Belegschaftsmitglieder = 41 % der Gruben- Belegschaft untergebracht waren. In den Wohnungen wohnten außerdem noch 30 Belegschafter der Kraftwerke Fortuna und anderer Werke der Gesellschaft.
Nach Beendigung der Wohnungsbauarbeiten in Fortuna, erhielten die Straßen des Ortes eine Kanalisation, eine Pflasterung oder geteerte Schotterdecken und Bordsteinanlagen. Zu jeder Wohnung gehörte ein Garten von 300 bis 400 m² Größe, in dem Obstbäume standen. An Straßen und Plätze waren Zier- und Nutzbäume gepflanzt worden.
Fortuna konnte mit Recht über den gesamten Zeitraum seines Bestehens als ein ausgesprochenes „Bergarbeiterdorf“, daß sicherlich auch gut ins Ruhrgebiet gepasst hätte, bezeichnet werden. Die Kleintierhaltung und Taubenzucht besaßen, wie üblich in Bergmannssiedlungen, auch in Fortuna einen hohen Stellenwert.
Ein Indiz für das schnelle Zusammenwachsen der Bevölkerung in den Anfangsjahren der „Kolonie Fortuna“ war die frühe Bildung von Vereinen und Gesellschaften.
Fortuna war bekannt für den engen Zusammenhalt seiner immer recht bunt zusammengewürfelten, multikulturellen Bevölkerung, was sich auch stets in den zahlreichen Gemeinschaften und Vereinen und vor allem in deren Festivitäten im Ort widerspiegelte. Im Schatten der Kraftwerke und Brikettfabriken ging es in Fortuna eigentlich immer recht international zu. Bereits im I. Weltkrieg, als der Ort sich noch im Aufbaustadium befand, kamen Italiener als Arbeiter für die Braunkohlenbetriebe nach Fortuna. Es waren wohl die ersten ausländischen Gastarbeiter an der Erft. Eine der damals in Fortuna zugezogenen italienischen Gastarbeiterfamilien trug den gleichen Namen wie der kleine Ort selbst. Sie hießen „Fortuna“ und waren als Auswanderer aus dem norditalienischen Udine gekommen. Sie fanden ebenso wie die später hinzugekommenen Türken, Griechen und Marokkaner hier Arbeit, eine Wohnung und die Eingliederung in die Ortsbevölkerung. Ein Sohn der Einwandererfamilie Fortuna, „Franz Fortuna“ war in Fortuna geboren worden und lebte hier bis zur Aufgabe des Ortes. Er hatte zwar einen italienische Paß war aber ein echter „Fortunese“, als solcher auch von allen anerkannt und mit vollem Herzen Deutscher. Alle Einwohner des Ortes waren stolz darauf „Fortunesen“ zu sein.
Die Fortunesen waren vielerorts in der Umgebung für ihre Festivitäten bekannt. So feierten sie u.a. tolle Schützenfeste, Kirmes und den Tanz in den Mai ausgiebig. Natürlich spielte auch der Karneval im kleinen Ort stets eine große Rolle. Man hatte eine eigene Karnevalsgesellschaft im Ort. Sie trug den Namen: „Karnevals-Gesellschaft Kut Erop Fortuna“. Deren Leitmotto, daß neben dem Namen der Gesellschaft auch auf die eigene Fahne gestickt war, hieß: „Trotz Leid und Sorgen ist Frohsinn verborgen“. Viele auswärtige Leute kamen hierher um mit den Fortunesen gemeinsam zu feiern. Nach dem Krieg, als sich in Oberaußem eine Karnevalsgesellschaft gebildet hatte, war es selbstverständlich, das Fortuna, vor allem der Kindergarten und das Kloster Bethlehem, stets vom jeweiligen Dreigestirn und den Komiteemitgliedern der Gesellschaft besucht wurden. Auch der Oberaußemer Rosenmontagszug führte viele Jahre durch Fortuna, wo man begeistert empfangen wurde.
Unter den jungen Männern der Nachbarorte, die auf Brautschau waren, erzählte man sich, das es lohnenswert währe nach Fortuna zu gehen, die Mädchen seien dort nett und besser gelaunt als anderswo.
Auch allgemein gesehen wurde die Bergarbeiterkolonie von zahlreichen Menschen gerne besucht. Im Frühjahr und im Sommer konnte man schon von ferne den betörenden Duft der vielen blühenden Sträucher und Bäume der Alleen und Gärten des Ortes wahrnehmen. Man ging nach Fortuna um „fast wie in Berlin“ unter den Linden spazieren zu gehen.
Einen erheblichen Anteil zum Bekanntheitsgrad von Fortuna hatte auch der 1919 gegründete, recht erfolgreiche Fußballverein „FC Fortunagrube“ geliefert. Da in diesem Klub sehr viele Werksangehörige der Braunkohlenbetriebe spielten, erfreute man sich auch einer großen Unterstützung durch die Fortuna-Grube AG. Auf der alten Fortunakippe hatte der Verein einen tollen, baumumstandenen Sportplatz, der im damaligen Fußballkreis Bergheim wegen der Heimstärke der dort leidenschaftlich für ihren Verein und auch für ihren Ort spielenden Mannschaften, sehr gefürchtet war. Nach dem Krieg mußte aber auch dieser Verein wie andere auch, ums Überleben kämpfen. Am 14. August 1950, trafen sich daher die Mitglieder des Fußballklubs „FC Fortunagrube“ und die des „Spiel- und Sportklubs Oberaußem“ in getrennten Mitgliederversammlungen und beschlossen eine Fusion der beiden Traditionsvereine der Gemeinde. Es entstand die heutige „Spielvereinigung Oberaußem-Fortuna“. Da man sich aber nie so richtig verstand, hatten junge Fortunesen in den 70ger Jahren in Fortuna nochmals einen eigenen Fußballklub gegründet, der sich „Eintracht Fortuna“ nannte.
Natürlich muß man beim Thema Vereinsleben an dieser Stelle auch unbedingt die „FC-Freunde Fortuna“ nennen. Sie hatten mit ihrem rührigen Vorsitzenden Willi Weck, durch ihre zahlreichen Aktivitäten einen großen Anteil an der Ausführung der Festkultur in Fortuna und dies hielte sie fast bis zum Ende des Ortes bei.
Erwähnung verlangt hier auch unbedingt die im alten Ort stets beliebte, 1924 gegründete St. Josef-Schützenbruderschaft, mit der bis 1975 so manches schöne Schützenfest in Fortuna groß gefeiert wurde. Neben dem bereits erwähnten Lehrer Bondü, soll hier stellvertretend für alle anderen Vereinsmitglieder Anton Haag erwähnt werden. War er doch viermal Schützenkönig des Vereines nach dem Krieg. Man hatte einen eigenen, gut ausgebauten Schießstand auf dem Gelände der alten Fortunakippe. Nach der Auflösung des Vereins nahm Anton Haag 1975 als letzter Schützenkönig von Fortuna, die Königskette in seine persönliche Obhut und Aufbewahrung.
Auch die bereits im Jahre 1906 gegründete freiwillige Sanitätskolonne, die in Friedenszeiten Unterstützung bei Unglücksfällen leistete, aber auch für den Kriegsfall (damals sah man die Kriegsführung noch als patriotische Pflicht) Aufgaben übernehmen mußte, soll hier besonders erwähnt werden. Diese stets von Mitgliedern der Familie Moers aus Fortuna, aufopferungsvoll und selbstlos über Generationen hinweg geführte Sanitätskolonne vom Deutschen Roten Kreuz, mit entsprechendem Ortsverein und einer in den 60ger Jahren sehr aktiven Jugendrotkreuzgruppe, trug vieles zum Gemeinwohl des Ortes bei. Jahrelang hatten die Fortunarotkreuzler in den Baracken nahe dem baulich schönen, einstigen Wasserturm, der bereits um die Jahrhundertwende gebaut worden war und am 30. September 1986 gesprengt wurde, ihre Unterkunft.
Natürlich besaß der Ort auch eine sehr aktive freiwillige Feuerwehr, die mit der guten Kameradschaft ihrer Mitlieder geglänzt hat.
In der Kolonie Fortuna wohnen um 1935 in über 300 Wohnungen etwa 1800 Menschen.
Natürlich hatte auch die nationalsozialistische Zeit im Arbeiterort Fortuna erhebliche Auswirkungen auf die Bevölkerung. Der starke Einfluß der braunen Machthaber wurde den „Fortunesen“ einmal mehr deutlich gemacht, als 1935 der katholische Jungmännerverein verboten wurde. 1938 wurde auch die Erteilung des Religionsunterrichtes durch Geistliche untersagt. Den Schwestern des Kloster Bethlehems wurde 1938 die bis dahin sehr erfolgreiche Leitung des Kindergartens entzogen.
In dieser Zeit kam es aber auch zur Schaffung einer Einrichtung, die der Kolonie bis zum Abbruch 1984 erhalten blieb, die Werksgaststätte der RAG. Das später als „Kasino Wintgen“ bekannte Gebäude wurde 1935 gebaut und am 1. Januar 1936 in Betrieb genommen.
Direkt nach dem Beginn des II. Weltkrieges, im September 1939, erhielten die Fortunesen Einquartierungen der Deutschen Wehrmacht. Der Alltag änderte sich rasch. Sobald die Dunkelheit hereinbrach, mußte jeder Lichtschein erlöschen, man mußte „verdunkeln“. Das Läuten der Glocken war nur noch am Tage und das nur für 3 Minuten gestattet.
Zum Schutz für die Fortunesen wurde unter die Westhalde ein Stollen gegraben, den man 1942 noch erweiterte. Siehe hierzu das Foto rechts.
Die beiden geschichtsträchtigen Glocken der Fortuna-Kirche, St. Barbara, wurden trotz erheblichem Unmut in der Bevölkerung, 1943 für die Kriegsrüstungsindustrie beschlagnahmt.
Aufgrund seiner Nähe zu den Braunkohlenbetrieben, hatte Fortuna im II. Weltkrieg auch einige kritische Situationen bei Luftangriffen auf die Industrieanlagen zu überstehen. Gegen Ende des Krieges gab es im Ort gewaltige Probleme mit den Flüchtlingen aus den Ostgebieten, die hier durchzogen und teilweise untergebracht werden mußten. Auch das von den Nationalsozialisten auf der Fortunakippe eingerichtete Sammellager für russische Kriegsgefangene, brachte den Bewohnern des Ortes nach dem Kriegsende erhebliche Belastungen durch Racheaktionen etlicher der ehemaligen Gefangenen. Nach dem Einmarsch der Amerikaner am 2. März 1945, wurden die meisten Einwohner von Fortuna von den freigekommenen Russen heftig attackiert. Jedes Haus im Ort wurde von ihnen geplündert und zum Teil verwüstet. Als die Bewohner sich dann wehrten, schritten die Amerikaner ein und beendeten die Plündereien und den aufgekommenen Vandalismus der Russen.
Nach dem Ende des Krieges zeigte sich aber wieder der gute Zusammenhalt der Fortunesen, gemeinsam nahm man die Beseitigung der Kriegsschäden im Ort in Angriff. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden auch die Glückaufstraße, die Kentener Straße und die Waldkolonie mit so genannten „Behelfsheimen“.
In den ersten Jahren hatten die Fortunesen aber auch noch alle mit sich selbst genug zu tun, aber bereits zu Beginn der 50er Jahre regt sich auch das Vereinsleben wieder. Am 25.01.1954 fand z. B. die erste Karnevals-Sitzung des Müttervereins statt. Zu dieser Zeit hatte Fortuna seine höchste Einwohnerzahl erreicht, 2141 Menschen wohnen damals hier. Der moderne Verkehr entwickelt sich, Autos kamen in Mode. Die Fortunesen vermerkten, daß Rheinbraun das Kloster Bethlehem gekauft hatte. Ein erstes schlechtes Anzeichen für eine düstere Zukunft der Siedlung Fortuna.
1985 waren alle Fortunesen umgesiedelt und alle Gebäude waren verschwunden.
Kurz gesagt: "Fortuna gabs nicht mehr!"
Zum Ende der Bergarbeitersiedlung siehe sep. Ausarbeitung von Ulrich Reimann
Ende der Siedlung Fortuna
Quellen:
- Josef Dürbaum, Heimatkunde von Oberaußem von 1912, sowie die Neuauflage Oktober 2000 von Hans-Josef Weck, Hans-Joachim Mörs, Carsten Meyer
- F. W. Noll, Heimatkunde des Kreises Bergheim von 1928
- Artikel aus Revier und Werk
- Buch von Heinrich Hürth, Entwicklung der Grube Fortuna
- Kölnische Rundschau
- Kölner Stadtanzeiger
- Werbepost
- Kraftwerke Fortuna von Detlev Witt
- In Gedanken durch Fortuna gehen von Hans Joachim Mörs
- Privatunterlagen
- Fotos: RWE, Anna Hopf, Adam Kornmann, Privatfotos
- Helmut Schrön
- Eigene Recherchen, Layout, neue Texte und Textergänzungen, Ulrich Reimann 2007