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DAS ENDE DER BERGARBEITERSIEDLUNG FORTUNA

Ausarbeitung von Ulrich Reimann, Dez. 2007

Das Ende der Siedlung

 

Durch den Beschluß der Firma RAG in den 60ger Jahren, auch die unter dem Ort Fortuna lagernden ca. 232 Mio. Tonnen hochwertige Braunkohle, in Form des neu zu erschließenden Tagebaus Bergheim abzubauen, hatte man über den Ort Fortuna, das alte Kloster Bethlehem und die Kraftwerke Fortuna sozusagen das Todesurteil gesprochen.

 

Spätestens im Jahre 1985 sollte das Gelände des Dorfes Fortuna abgebaggert werden. Das bedeutete, alle Einwohner mußten bis Ende 1984 ihren so sehr geliebten Ort verlassen haben. Das gesamte Dorf mit allen Gebäuden, Straßen, Wegen, Plätzen, Gärten, Bäumen, Sträuchern usw. mußte bis Anfang 1985 abgerissen und beräumt sein.

 

Die Einwoh­nerzahl betrug 1963 insge­samt 1.767 Personen. Die höchste Kopfzahl hatte Fortuna Ende der 50ger Jahre, da waren einmal um die 2000 gewesen.

 

 

In den 70ger Jahren begann dann die schleichend durchgeführte Umsiedlung der Fortunesen. Diese Art brachte Rheinbraun des öffteren in die Kritik und in die damaligen Schlagzeilen der hiesigen Medien. Viele Fortunesen fühlten sich betrogen. Man vertrat vielfach die Meinung, Rheinbraun habe aufgrund der Besitzverhältnisse in Fortuna mit den Bewohnern (die meisten arbeiteten ja beim RWE und bei Rheinbraun) leichtes Spiel. Selbst gegenüber der Verwaltung der Stadt Bergheim war man in Fortuna teilweise sehr misstrauisch, nachdem man merkte, daß die Sache selbst und auch die notwendigen Hilfen bei der Suche nach neuen Wohnungen nicht so gehandhabt wurde, wie einige Bergheimer Politiker es vorher vollmundig angekündigt hatten.

 

Von den 387 ursprünglich vorhandenen Anwesen in Fortuna befanden sich 267 im Eigentum von Rheinbraun, 77 im Eigentum der WBG und 43 im privaten Eigentum. Elf der 43 privaten Anwesen waren Eigen­tum der Gemeinde. Insge­samt gab es in Fortuna einmal 16 Handwerks- und Einzel­handeisunternehmen und zehn Gebäude für den Gemeindebedarf.

 

Bürgermeister der Gemeinde Oberaußem-Fortuna war seit 25 Jahren und noch zu dieser Zeit der Fortunese Wilhelm Clever. In einem Artikel des Kölner Stadtanzeigers vom 25./26. März 1972, hatte er sich zur Umsiedlung wie folgt geäußert: „Gegenwärtig werde von der Umsiedlung mehr geredet als nötig sei. Kritisch meinte er aber: “Man dürfe den Ort nicht dadurch langsam sterben lassen, daß man die Leute animiere, woanders zu bauen.“ Ein Indiz dafür, daß so schnell mit der Umsiedlung nicht begonnen werde war für Clever die Tatsache, daß das Kasino der Rheinbraun kostspielig renoviert worden sei. „Wer steckt schon soviel Geld in ein Gebäude, um es dann nach ein paar Jahren abzureißen?“

 

Es kam aber wie ja ausreichen bekannt doch schneller als viele Fortunesen gedacht hatten.

Der Aufschluß des Tagebaus Bergheim begann am 3. Februar 1984.

 

Eine Kölner Abbruchfirma hatte Anfang der 80ger Jahre von Rheinbraun den Auftrag erhalten, alle Häuser und Gebäude nach dem Auszug der Bewohner, schnellstmöglich, Stück für Stück abzureißen und das gesamte Gelände für den heranrückenden Tagebau freizuräumen. So hatte das Sterben von Fortuna einen langsamen Verlauf.

 

Das erste Anwesen der Ortschaft Fortuna, das von den Bewohnern frei gemacht und danach abge­brochen wurde, war das so genannte „Schweizer Haus“ in der Ringstraße.

 

Es war ein trister, oft beklemmender Anblick wenn man in den letzten Jahren durch die sich lichtenden, vom Straßenverkehr aufgegebenen Straßen ging. Bereits im März 1983 lebten in Fortuna noch 11 deutsche und 10 türkische Familien, insgesamt nur noch 81 Leute. Es gab noch eine Gaststätte, und den einstigen kleinen Lebensmittelladen von Willi Meurer, in dem das „Fortunaurgestein Adolf Hütten“ seine übriggebliebenen, wenigen Kunden stundenweise bediente. Er blieb fast bis zum Ende im Ort und hatte am Schluß noch 5 Kunden. Der Laden, den Hütten als Rentnerjob betrieb, gehörte schon lange nicht mehr den Meurers. Die hatten nun in Kenten eine Gaststätte. Auch die letzte Gaststätte von Fortuna, neben dem kleinen Laden, hatte schon einen neuen Besitzer, die Firma Rheinbraun. Betrieben wurde dieses Lokal von dem Italiener Antonio Galeofafiore, von allen nur „Antonio“ genannt. Er war damals wohl der einzige Wirt, der wie man sagte, vom Gaststättenbesitzer Geld dafür erhielt, daß er eine Kneipe betrieb die kein Geld einbrachte. Es gab auch noch das Rheinbraun-Kasino, einen Briefkasten, eine Telefonzelle, eine Notrufsäule und natürlich, eine große, von der Stadt aufgestellte Holztafel zur Anbringung von Wahlplakaten der Parteien. Es gab aber wie bereits erwähnt noch Leben im Ort. Der jüngste (zwangsläufig) noch verbliebene Fortunese war im März wohl der 4 Wochen alte Sascha Dahmen, der an den teilweise schon recht warmen Frühlingstagen von seiner Mutter Marieluiese Dahmen, im Kinderwagen durch die leeren, gespenstisch wirkenden Straßen des sterbenden Ortes gefahren wurde. Ortsvorsteher war damals Edmund Schleich. Er war sich sicher, daß im Frühjahr 1984 in Fortuna kein Stein mehr auf dem anderen stehen werde.

 

Die damals noch im Ort lebenden wenigen Kinder fühlten sich aber wie in einem Traum. So konnten sie gefahrlos auf den Straßen spielen, ja man durfte diese sogar nach Herzenslost mit bunter Kreide bemalen. Es durften Feuerchen gemacht werden ohne das ihnen jemand gleich mit der Polizei drohte. Es war ihnen erlaubt in den Bäumen herumzuklettern, an Gartenstangen zu turnen oder auf Gartentürchen Karussell zu fahren. Für die Kinder war diese Idylle trotz dem bizarren Umfeld und der bedrückenden Szenerie des fortschreitenden Abbruchs, eine zwar kurze aber wohl auch unvergessliche Zeit.

 

Ende März 1983 zog in Fortuna noch einmal „neues Leben“ ein. Eine Kölner Versorgungskompanie der Bundeswehr hatte zwischen den Ruinen des Ortes für drei Tage ihr Manöverlager aufgeschlagen. Die Kirche, damals bereits seit einigen Wochen ohne Glocken und Turm, war zur Zentrale des kriegerischen Planspieles auserkoren worden. Wo es früher nach Weihrauch duftete, dampften nun in Bottichen Würste vor sich hin. Ihre Übungsarbeitsgebiete versteckten die Soldaten unter Tarnnetzen. Der Zweck der ganzen Übung blieb für die Außenstehenden jedoch im Dunkeln, man wußte nur soviel, daß die Kölner Soldaten den Standort Fortuna zur Versorgung der kämpfenden Bataillone auserkoren hatte.

Während die Bundeswehrsoldaten für das Leben sorgten, wurden im Ort weitere Häuser abgerissen.

 

Viele Häuser standen nach dem Auszug ihrer einstigen  Bewohner noch längere Zeit unbewohnt da. Zum Schutz vor Plünderungen und Vandalismus hatte man die Türen und Fenster noch zugemauert, bevor sie dann endgültig der Spitzhacke bzw. den schweren Abbruchmaschinen zum Opfer fielen.

 

Während der Abbruchjahre des Ortes, waren die alten Fortunahäuser auch oft das Ziel junger Männer aus den Nachbarorten, konnte man doch hier leicht an größere Mengen alter Dachziegel gelangen um den heiratswilligen Freunden damit einen richtig zünftigen Polterabend zu gestallten. So manch einem Brautpaar in Oberaußem wurde damals ganze Wagenladungen alter Fortunadachziegel vor die Haustüre geschmissen. Zum Glück war es damals noch recht einfach für die Leute die Ziegel mit Genehmigung der Betriebsleitung in einem Rheinbrauntagebau zu verkippen als zu entsorgen.

 

Die Brücke über die einstige Eisenbahnlinie Bergheim – Rommerskirchen, wurde von der Gemeinde bereits Ende 1972, nach dem Wegfall der Bahnverbindung abgebrochen. Man hatte zur neuen Durchverbindung der Bethlehemer Straße einen Erdwall anstelle der Brücke aufgeschüttet.

 

Ziel massiver Kritik beim Abbruch des Ortes war der unwürdige Umgang mit einigen altehrwürdigen Gebäuden, wie der Pfarrkirche, dem Jugendheim und dem Pfarrhaus. Nach Auflösung der Pfarrgemeinde ging es dort teilweise recht wüst zu. In einem Zeitungsartikel wetterte der damalige Stadtverordnete Willi Weck diesbezüglich massiv gegen das Kölner Generalvikariat. Unter dem Titel „Kirche wurde zum Tummelplatz für die Ratten“ machte man auf die Missstände aufmerksam. Weck hatte diesbezüglich auch an den damaligen Leiter des Bergheimer Ordnungsamtes, Vinzenz Drexler, einen Brief geschrieben und unter Schilderung der unwürdigen Zustände um Hilfe zu deren Beseitigung gebeten.

 

Den Abbruch der Gebäude begleitete immer eine bedrückend, gespenstisch anmutende Szenerie. „Erst es in die allgemeine Stille des Ortes hinein, es klopfte dumpf, ein lauter Knall, Zischen und dann eine Staubwolke. (Originaltext Zeitungsartikel von Helmut Fromel und Heinz Welz)

 

Beim Abriß der letzten beiden Wohnhäuser des Ortes, war auch der ehemalige Ortsvorsteher Edmund Schleich anwesend. Bei schlechtem, regnerischem Wetter sah er mit schwerem Herzen dabei zu, wie ein Bagger der Kölner Abbruchfirma Greeg, die Fundamente des Hauses Giesbergstraße Nr. 19 aus dem Boden holte.  Das allerletzte Gebäude von Fortuna war aber das kleine Umkleidehäuschen des Fußballclubs „SC Eintracht Fortuna“ am Sportplatz auf der Kippe Fortuna.

 

Zum Schluß war Fortuna, das einst Treffpunkt von Holländern, Italienern, schlesischen Bergarbeitern und Menschen aus fast ganz Europa war, fest in türkischer Hand. Die letzten Einwohner von Fortuna waren, bezeichnend für die multikulturelle Vergangenheit des Ortes, der Türke „Sueleymann Celik“ und seine Familie, die von 1975 bis zum Ende des Ortes 1985, in der Giersbergstraße 19 gewohnt hatten.

 

Das Gebiet der ehemaligen Siedlung Fortuna liegt heute auf dem Betriebsgelände des Tagebaus Bergheim.

 

Das Kapitel des Bergarbeiterortes Fortuna endete 1985, alle Fortunesen wurden bis dahin umgesiedelt.

Ein großer Teil der umgesiedelten Fortunabevölkerung fand in Oberaußem, Niederaußem und Quadrath eine neue Heimat. Hier ist insbesondere das Wohnprojekt für Fortunaumsiedler in der Maria-Jucharcz-Straße zu nennen. Ein großer Teil der umgesiedelten türkischen Familien fand in Habbelrath eine neue Bleibe.

 

Das für die Siedlung Fortuna einst sehr bedeutende, ebenfalls im Abbaugebiet des Tagebaues Bergheim liegende Kloster Bethlehem, war vom Orden 1964 geschlossen und 1966 an Rheinbraun verkauft worden.

Im Jahre 1967 wurden die Klostergebäude dann endgültig abgerissen. Der um das Kloster gelegene schöne alte Bethlehemer Wald und sämtliche Klostereinrichtungen fielen dann in den 80-ziger Jahren wie auch der Ort „Fortuna“, zum Leidwesen vieler Menschen komplett dem Tagebau Bergheim zum Opfer.

 

Erinnerungen an Fortuna:

 

Zur Erinnerung an den einstigen Bergarbeiterort Fortuna wurde 1984, u.a. auf Anregung des damaligen Oberaußemer Pfarrers Bursy, in einer spektakulären Aktion die komplette Spitze des Kirchturmes der Barbarakirche nach Oberaußem umgesetzt. Der Turm war in zwei Teile zerlegt worden und auf einem Tieflader zu seinem neuen Standort transportiert worden. Neben der Oberaußemer Pfarrkirche wurde der Turm wieder zusammengesetzt und auf einem entsprechenden Betonsockel aufgebaut. Mit Hilfe eines Spezialkrans montierte man auf die Turmspitze das einstige metallene Turmkreuz. Im Turm sind auch die beiden alten Glocken der Fortunakirche, eine ist ca. 350 Jahre alt, die andere wurde etwa 1800 gegossen, wieder eingebaut worden.  Damit hat dieses Erinnerungsstück aus dem einstigen Fortuna einen würdigen Platz gefunden und repräsentiert für viele Menschen ein realistisches Stück Heimat.

 

 

Am 10. November 1991 ging für viele ehemaligen Bewohner von Fortuna ein weiterer, langge­hegter Wunsch in Erfüllung. Ein schmuckes Kapellchen, das auch an die Sankt-Barbara-Kirche im alten Ort Fortuna erinnern soll, wurde in Oberaußem auf Anregung des alten Fortunesen und heutigen Ortsvorstehers von Oberaußem, Willi Weck, errichtet und von Pfarrer Achim Brennecke feierlich eingesegnet.

 

Rund 500 Besucher waren zum Standort am Ernst-Reuter-Ring gekommen, um an der Einweihungsfeier teilzunehmen. Als handfeste Erinnerung schmücken drei Altarleuchter und zwei Engelsfiguren aus der früheren Kir­che die neue Kapelle.

 

Auch das Thema Braunkohle ist bei der Gestaltung der Ge­denkstätte berücksichtigt worden. Ornamente in der zweiflügeligen Eingangstür zeigen neben dem einstigen Wasserturm auch die Barba­rakirche und einen Schaufel­radbagger, als Symbol für die Arbeit der Menschen im Braunkohlenrevier. In der Kapelle erinnern auch Originalteile vom einstigen Franziskusaltar an die einstige Pfarrgemeinde Fortuna mit dem Kloster Bethlehem.

Der Kapellenbau war ausschließlich durch Privatspenden und durch finanzielle Unterstützung der beiden damaligen Unternehmen Rheinbraun und RWE realisiert worden.

 

Im Jahr 1992 erinnerten dann die Karnevalsfreunde von Oberaußem, zur Freude vieler Fortunesen, mit einem eigenen Karnevalsorden an den einstigen, von vielen so sehr geliebten kleinen Ort Fortuna. Auf dem Orden sind drei ehemalige Wahrzeichen des Ortes, das Bahnhofsgebäude Fortunagrube, der Wasserturm und die Volksschule abgebildet.

 

Noch heute gibt es organisierte „Fortunesentreffen“, bei denen die Menschen ihren damaligen Zusammenhalt in einer verschworenen Dorfgemeinschaft, immer wieder zum Ausdruck bringen und so gut wie möglich auch weiterhin pflegen möchten. Neben den großen Bemühungen von Willi Weck, die Erinnerungen an Fortuna zu erhalten, muß auch der persönliche Einsatz des gebürtigen Fortunesen Hans Joachim Mörs hier lobenswert erwähnt werden. Mit seinen 1992 und 1993 veröffentlichten Büchern „In Gedanken durch Fortuna gehen“, hat er eine eindrucksvolle Dokumentation über den Ort und das Leben im ehemaligen Fortuna geschaffen.

 

 

Weitere Informationen zu Fortuna können den im Internet unter Stadtteilforum-Oberaussem veröffentlichten Ausarbeitungen von Ulrich Reimann, zur Braunkohle und zu Oberaußem entnommen werden.

 

 

Zum Abschluß dieser Ausarbeitung, nachfolgend die etwas wehmütig klingenden, in Gedichtform niedergeschriebenen Abschiedsworte, eines z. Zt. unbekannten Fortunesen an seinen Heimatort Fortuna.

 

Abschied von Fortuna

 

Früher wars in Fortuna schön,

das kann nur der ermessen,

wers einmal hat gesehn

in seiner vollen Pracht,

doch unterdessen,

die Bagger vor der Türe stehn.

 

Drum ziehn wir um, es ist soweit,

vorbei Fortuna, deine Herrlichkeit.

Schön war die Zeit die wir hier verbrachten,

die Kindheit, die Jugend und noch viel mehr,

als noch unsere Kinder hier lachten,

doch diese Zeit, die gibt`s nicht mehr.

 

Heimatlosen gabst du Heimat und Glück,

nach dem Kriege es liegt weit zurück,

Fortuna war stets ein guter Stern,

wir alle hatten es sehr gern.

 

Vorbei ist nun unser aller Traum,

der Abschied von hier, er steht im Raum.

Kirche Straßen und Häuser sind leer,

nur fremde Gesichter, kaum Fortunesen mehr.

Wir nehmen Abschied, fällt es auch schwer,

"Schönes Fortuna, dich gibts nicht mehr"

„Tschüß“

 

 

 

Quellen:

  • Josef Dürbaum, Heimatkunde von Oberaußem von 1912, sowie die Neuauflage Oktober 2000 von Hans-Josef Weck, Hans-Joachim Mörs, Carsten Meyer
  • F. W. Noll, Heimatkunde des Kreises Bergheim von 1928
  • Artikel aus Revier und Werk
  • Kölnische Rundschau
  • Kölner Stadtanzeiger
  • Werbepost
  • Kraftwerke Fortuna von Detlev Witt
  • In Gedanken durch Fortuna gehen von Hans Joachim Mörs
  • Privatunterlagen
  • Helmut Schrön
  • Eigene Recherchen, neue Texte und Textergänzungen, Fotos, Ulrich Reimann 2007